Anonym [1682] "Perle"

Die Perle von Europa Der Preißwuerdigen Kauffmannschafft.
d. i. Billigmaeßige und unvorgreiffliche Vor=rede
Des fürtrefflichen Kauff=Handels und desselben zugethanen Vornehmen Gliedern Unterschiedener berühmter Reichs= und anderer angesehener Handels=Städte
Zum Unsterblichen Nach=Ruhm und Ehren auffgesetzet Von Einen der hochloebl. Mercatur Wohl=affectionirten.
In Verlegung des Autoris. [s. l.] Gedruckt im Jahr Christi 1682.

Zitierweise: Rolf Felbinger: Quellenautopsie "Anonym (1682) Perle", in: Europabegriffe und Europavorstellungen im 17. Jahrhundert. Web-Projekt, Wolfgang Schmale (Dir.).
https://europaquellen.univie.ac.at/einzelansicht/news/anonym-1682-perle/

Schlagworte: Handel; Kaufmannschaft; Lobrede; Verhaltenskodex; Weltteil;

Fundort: BSB / Rar. 4181

A) KurzbiographieB) Beschreibung der Quelle C) Europabegriff und -vorstellung des anonymen Verfassers

 

A) Kurzbiographie

[Anonymer Verfasser]

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B) Beschreibung der Quelle

Bei dieser anonym verfassten Quelle handelt es sich um eine Lobrede auf den Stand und die Tätigkeiten reichsdeutscher bzw. europäischer Kaufleute und Händler, die, vermutlich als Gelegenheitsschrift konzipiert, im Jahr 1682 ohne Angabe eines Druckortes publiziert wurde. Die Analyse der Schrift beruht auf einem ebenso seltenen wie gut erhaltenen Exemplar, das sich ursprünglich im Besitz der Handels- und Lehranstalt (Handelskammer) Leipzig befand und 1977 von der Bayerischen Staatsbibliothek erworben wurde. Das Werk umfasst ein vorangestelltes Titelkupfer, ein Frontispiz, ein zweites, aufwendiger gearbeitetes Titelkupfer, eine Widmung, ein Vorwort ("Zu-Schrifft"), eine "Erklaerung des Kupffer-Tituls" in Versform, eine inhaltliche Abhandlung des Themas, die in zwölf Kapitel unterteilt ist, ein alphabetisches Sachregister sowie eine Seite mit Fehlerhinweisen.
Das gestochene Frontispiz zeigt einen europäischen (weiße Haut, puritanische Kleidung) und einen afrikanischen (schwarze Haut, Turban, Tierfell als rockähnliches Kleidungsstück, gestreifte Tücher, Fußbänder) Kaufmann, die offensichtlich versuchen, handelseinig zu werden. Im Bildvordergrund steht dabei mit einem geöffneten Perlenschmuckkästchen, einem geschnürten Ballen und einem Holzfass die Ware, die ihr Gespräch zum Inhalt hat. Das Fass trägt eine Art Wappen oder gravierte Signatur, bei der es sich um einen Hinweis auf den Stecher handelt und die nicht mehr aufgelöst werden kann. Der mit einem kostbaren Tuch bezogene Tisch, auf dem der Schmuck liegt, lehnt an einer Säulenarchitektur, über deren Bögen das Schriftfragment "Die aller unschätzbareste" angebracht ist. Der Schriftzug weist dabei in der Verlängerung seiner Ausrichtung auf eine große tropfenförmige Perle, die an einem Band und umgeben von einer Strahlenmonstranz vom Himmel ragt. Sie wird von der Hand Gottes aus einer Wolke gereicht und hängt symbolträchtig über den beiden feilschenden Kaufleuten. Drei im Hintergrund auftauchende Handelsschiffe, die sich noch oder bereits auf hoher See befinden, sowie ein vollbepacktes Fuhrwerk, das von einem Kutscher in Richtung Strand gefahren wird, deuten außerdem an, dass es sich bei dem europäisch-afrikanischen Handel nicht um ein einmaliges Ereignis, sondern vielmehr um eine etablierte und florierende Geschäftsbeziehung handelt. Der Titel der Quelle erscheint schließlich noch einmal auf einem aufgerollten Schriftband am unteren Ende der Illustration.
Der Autor widmet die Lobschrift zwar den "Kauff= und Handels=Leuten [...] der[er] Reichs= und [...] Handels=Staedte Hamburg, Franckfurt am Maeyn, Augspurg, Nuernberg, Breßlau, Leipzig und Dreßden", doch zieht er in seinen Ausführungen wiederholt andere europäische Kaufleute ("Kauff=Herr[en] zu Venedig/ Pariß/ Londen und Amsterdam") explizit mit ein, so dass seine Überlegungen für beide Personengruppen gelten müssen. Er interpretiert den Kaufhandel als eine Wissenschaft, die es zu erlernen und zu verstehen gilt, da auf allen vier Erdteilen unterschiedliche Sitten und Gebräuche herrschen. Aus dem Vorwort und den zwölf inhaltlichen Sektionen der Schrift erfährt der Leser schließlich, warum der Verfasser, der das Vorwort mit den Initialen "J. L. S" signiert, permanent auf die Perlenmetapher zurückgreift. Die Perle sei offensichtlich "ein Wunder=Geschöpffe Gottes" wie die "edle und admirable Kauffmannschafft", die zwar nicht ausschließlich, aber dennoch primär in Europa blühe. Sie wird als die aus dem "Lorbeer des gueldenen Ruhms" verwandelte Perle geschildert, wobei nur bedacht werden muss, dass "unter denen grossen runten und schoenen Perlen auch thoerrichte/ ungleiche/ ja falsche und Wasser=Perlen zu weilen angetroffen werden [...], welche jedoch nur denen Lumpen=Gesindel/ Stoehrern und Unerfahrnen dieser Kunst vor Augen geleget werden." Derartige Missbildungen seien auch dafür verantwortlich, dass Kaufleute und Händler mitunter in einem schlechten Ruf ständen.
Das erste Kapitel ("Die I. Perle") widmet sich dem "Ursprung der Kauffmannschafft" und stellt die Erschaffung des ursprünglich stets geachteten Standes zur Zeit des Altertums als einen Akt göttlicher Intervention dar. Darüber hinaus enthält es die kurze Beschreibung eines Emblematas ("Eine etwas geöffnete Perlen=Muschel/ in welche der Thau des Himmels fället. Mit der Auffschrift. Von oben herab."), das vermutlich während einer ursprünglichen Lesung gezeigt wurde, sowie verschiedene Einschübe wie ein Madrigal oder Zitate. Sie beziehen sich in erster Linie auf die Heilige Schrift sowie antike Autoren und heben den Festcharakter der Rede hervor. Die übrigen elf Kapitel ("Was sey die Kauffmannschafft?; Die verworffene und verschmaehete Kauffmannschafft; Die der Ehren unwerth gehaltene Kauffmannschafft; Die hochgeehrte Kauffmannschafft; Die unanstaendige Kauffmannschafft; Die nutzbahre unentbehrliche Kauffmannschafft; Die kluge und vorsichtbrauchende Kauffmannschafft; Die Gewinnsuechtige und Wucher=begierige Kauffmannschafft; Die Muehsame Kauffmannschafft; Die zu Wasser und Lande florierende Kauffmannschafft; Die wichtigste/ noethigste/ und allerbeste Kauffmannschafft") folgen durch ihren analogen Aufbau dem vorgegebenen Muster. Hierbei wird unter anderem angesprochen, woher bestimmte Waren zu beziehen sind, welche Nationen oder Städte durch den Handel besonders mächtig und wohlhabend wurden oder wie sich das Handels- und Zinsgeschäft, z. B. bei der Ziehung von Wechseln oder der Ausstellung von Schuldscheinen, mit der christlichen Religion in Einklang bringen lässt. Der Wert der Schrift besteht in den Augen des anonymen Verfassers darin, über das Handelswesen richtig zu informieren und interessierten Lesern passende Instruktionen zu geben.

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C) Europabegriff und -vorstellung des anonymen Verfassers

Der Autor verwendet den Begriff "Europa" zunächst als geographische Bezeichnung für den Weltteil, der im Norden bis nach Schweden und Norwegen, im Süden bis nach "Sicilien" und im Westen bis "Hispanien" und Portugal reicht. Die östliche Grenze wird aber nicht genauer definiert und es bleibt offen, ob er Russland oder das Osmanische Reich zum europäischen Kontinent zählt. Interessant erscheint in diesem Zusammenhang, dass er die Warenhäfen von "Candia", "Corfu" oder "Constantinopel" als venetianisches Interessensgebiet ansieht, sie aber auch gleichzeitig dem Orient zuschreibt, was die Einschätzung seiner Vorstellungen nicht erleichtert. Insgesamt scheinen ihn aber auch die wichtigsten reichsdeutschen und europäischen Handelsmetropolen mehr zu interessieren, da sie in Bezug auf die ebenfalls im Text auftauchenden Kategorien "Nation", "Monarchie" oder "Reich" im Vordergrund stehen. Einfluss, Kapital und Macht der Handelsstädte machen für ihn die besondere Stärke Europas im Vergleich zu den anderen Erdteilen Asien, Afrika und Amerika aus, wo zwar ebenfalls Handel getrieben wird, jedoch auf einem deutlich niedrigeren Niveau. Als Beispiel dient dem Verfasser hierzu ein Vergleich der Handelsriten und des Kaufverhaltens von Mohren (aus dem "Koenigreich Gambea"), Arabern und Europäern, bei dem die europäischen Kaufleute am besten abschneiden, weil sie den Handel wissenschaftlich betreiben und schlicht besser beherrschen. Lediglich die stets unruhigen politischen und militärischen Verhältnisse des Kontinents behindern in seinen Augen den Siegeszug der europäischen Kaufleute in der gesamten Welt: "Der Herr/ der das Meer geschaffen und die Erde gegruendet/ wird dis alleredelste Kleinot der teutschen Welt/ auch mitten unter allen Kriegs=Pest=Hunger= und anderen Ungefaellen erhalten/ ihme seinen bißhero ziemlich=gehemmeten Lauf wiederumb goennen/ und durch seine Guetigkeit die versperreten Paesse/ zu Wasser und Lande/ öffnen/ damit die Perle von Europa ihrigen vorigen Glanz erlange/ und die von so vielen Häuptern auch wiederumb mit Ehren/ Ruhm und Gewogenheit gekroenete Mercatura ihren Thron besteigen/ und frey und ungehindert ihren Befehlichshabern zu neuen glueckseligen Handel und Wandel Ordre geben koenne."
Durch die Beseitigung aller Missstände, die von europaweiten Kriegen bis zu betrügerischem Verhalten unredlicher Personen reichen, wäre der Vormarsch des Wirtschaftsdenkens nicht mehr aufzuhalten, was in der letzten Konsequenz eine ökonomische Weltherrschaft Europas nach sich ziehen würde: "Durch diesen Perlen=Handel schau/ [...]/ was darinn verborgen/ Es ist die werthe Kauffmannschafft mit ihren hundert tausend Sorgen/ Deroselben hoher Ruhm und Preiß wird auf den Schauplatz hier gefuehret/ Wie auch ihr Missbrauch/ Nutz und Frucht Mögligkeit zugleich beruehret. Beehre/ Leser/ Sie mit mir/ die Perle von Europens Grentzen/ [...] Sie ist die Perl der gantzen Welt." "Europa" besitzt in der Quelle somit eine geographische, eine wirtschaftliche, sowie eine gesellschaftlich-moralische Sonderstellung, da sich alle europäischen Kaufleute durch einen besonderen Verhaltenskodex auszeichnen, der nicht-europäischen Handelstreibenden in dieser generellen Ausprägung fehlt.

(rf)

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