Anonym [1684] "Bündnussen"

Das Getröstete Europa
Oder Die Bündnussen und Kriegs-Geschäffte/ geschehen bey Außgang deß 1683. und Anfang deß 1684. Jahrs.
Da Demut weint und Hochmuth brennt
Wird von dem grossen Bund erwehnt.
[s. l.] Gedruckt im Jahr/ 1684.

Zitierweise: Alexander Wilckens: Quellenautopsie "Anonym (1684) Bündnussen", in: Europabegriffe und Europavorstellungen im 17. Jahrhundert. Web-Projekt, Wolfgang Schmale (Dir.).
https://europaquellen.univie.ac.at/einzelansicht/news/anonym-1684-buendnussen/

Schlagworte: Bündnisse; Christenheit; Flugschrift; Frankreich; Heilige Allianz; Türkenkrieg;

Fundort: ÖNB / 153.688-B

A) KurzbiographieB) Beschreibung der Quelle C) Europabegriff und -vorstellung des anonymen Verfassers

 

A) Kurzbiographie

[Anonymer Verfasser]

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B) Beschreibung der Quelle

Wie schon der Titel vermerkt, berichtet die vorliegende Quelle über die Bündnis- und Kriegspolitik der europäischen Mächte und die Entstehung einer breiten Offensivallianz gegen die Türken, wobei der Berichtszeitraum die Monate Dezember 1683 und Januar 1684 umspannt. Sie besteht aus 20 Blättern im 4° Format und ist fortlaufend verfasst. Es gilt zu beachten, dass von dieser wahrscheinlich im Februar 1684 zum ersten Mal gedruckten Flugschrift verschiedene Versionen vorliegen, die sich durch kleine Details unterscheiden (z. B. ein abweichender Zeilenumbruch auf dem Titelblatt, eine andere Zierleiste auf dem Bogen A2 und eine unterschiedliche Rechtschreibung) und die auf eine relativ große Verbreitung der Schrift schließen lassen.
Der anonym gebliebene Autor, der sehr gut über die historische und gegenwärtige politische Situation informiert ist, schildert ausführlich die politisch-militärischen Begebenheiten in Europa und kommentiert sachlich die neuesten Nachrichten. Zu Beginn berichtet er von den Bemühungen des Papstes, große Geldsummen für den Krieg gegen die Türken aufzubringen und alle christlichen Potentaten im Kampf gegen den Erbfeind der Christenheit zu vereinigen. Neben den Verhandlungen mit Venedig zum Zweck der Allianzbildung gegen das Osmanische Reich gelten die Bemühungen des heiligen Stuhls insbesondere der Verbesserung des französisch-spanischen Verhältnisses, denn angesichts der unaufhörlichen Interventionen Frankreichs in den spanischen Niederlanden erfolgte am 22. Dezember 1683 eine Kriegserklärung Spaniens. In Madrid habe man beschlossen, eher alles zu verlieren, "als in der Unruhe ohne Ende zu leben", denn trotz aller Versuche, die Zwistigkeiten mit Frankreich durch direkte Verhandlungen auszuräumen, hat der französische König seine Gewaltaktionen fortgesetzt, und zwar genau in der Phase, als Spanien zur Unterstützung militärisches Fußvolk nach Wien entsandt hatte, das von den Türken belagert worden war.
Der Autor vertritt, entgegen der gängigen Meinung, nicht die Auffassung, dass Frankreich einen absoluten König in England und einen "Oberherrscher" in Holland einzusetzen versucht oder den Handel dieser Länder beschneiden will, sondern dass es vielmehr ein subtileres Projekt verfolgt. Die französischen Maximen zielen dahin, "wie alles in dem Argwohn/ dem Mißtrauen/ und der Irresolution behalten werde/ damit allen die Hände gebunden bleiben/ und die besten Vorschläge suspect seyen", so dass Spanien hilflos bleibt, die Niederländer im Stich lässt und darüber hinaus in eine solche Verzweiflung gerät, "daß die Cron Spanien ihr [Frankreich] die Niederländer gegen Catalonien/ oder einem equivalent abtautscht". Danach würde Holland allerdings bald unter das französische Joch fallen. Sollte England Holland beistehen, müsste dies aus der Sicht Versailles' "entweder durch ein verblendetes Interesse in den Commercien oder aber durch einen innerlichen Krieg/ oder durch Vertilgung der Succession" verhindert werden. Vor diesem Hintergrund ist die nach der spanischen Kriegsdeklaration einsetzende "Operation" Frankreichs zu verstehen, in der die französischen Truppen die Niederlande verwüsten, ausplündern und dort insgesamt mehr Unheil anrichten als die Türken und Tartaren in den österreichischen Gebieten. Nach der Beschreibung der Kriegsvorgänge in den spanischen Niederlanden erläutert der Autor die Position Hollands: Dieses möchte ebenfalls nicht gegen Frankreich vorgehen, da eine englische Beistandsverpflichtung ausbleibt und wegen einer möglichen, vom Bischof von Straßburg eingefädelten Allianz zwischen Frankreich, Dänemark und Brandenburg.
Danach geht der Verfasser über zur Stellung der nördlichen Mächte. Zunächst werden die Aufrüstungen in dem mit Frankreich alliierten Dänemark geschildert, wo das Heer fast ausschließlich unter französischem Kommando stehe und große Teile der Bevölkerung in Norwegen, Holstein und anderen Provinzen "wegen der unerträglichen Pressuren" auswandern. Die größten Sorgen Dänemarks gelten aber Schweden. Ohne eine Absicherung vor möglichen Übergriffen wird es sich in keinen Krieg gegen andere Potentaten einbinden lassen. Wie im späteren Verlauf der Schrift noch erwogen wird, würde Dänemark, trotz der Allianz mit der französischen Krone, die freundschaftlichen Beziehungen zu den deutschen Reichsfürsten nicht gefährden. Schweden wird sowohl von Dänemark, wie auch vom Reich zum Zweck einer Allianz umworben, wobei eine Entscheidung aber noch ausstehe. Was Kurbrandenburg betrifft, so gelten seine Bemühungen in erster Linie der Bewahrung des Friedens. Trotz seiner eher französisch gesinnten Position bräuchte man von diesem "Reichs=Patrioten" keinen Abfall von Kaiser und Reich zu befürchten. Zusammen mit Lüneburg und den Ständen der beiden Rheinischen, des Fränkischen und des Schwäbischen Kreises sowie vor allem mit Sachsen ("fürwahr ein rechtes Fürbild deß alten Teutschen Heldenmuths und der Auffrichtigkeit") seien die einzelnen, umworbenen Kandidaten mächtig genug, "umb der Cron Franckreich zu widerstehen/ und dero Progressen zu verhindern". Danach beschreibt der Autor die Situation am oberen Rhein und fügt Überlegungen zur Abwehr der französischen Kräfte durch die Mitglieder des Reiches hinzu, wofür nichts anderes erforderlich sei, "als nur beständige Resolution und Einigkeit". Das Deutsche Reich bedürfe keiner neuen Kriegswerbungen, da "bereits eine dazu erprißliche Macht in Armis stehet".
Es folgt eine detaillierte Schilderung der militärischen Möglichkeiten und Vorbereitungen des Kaisers, der sich mit Bayern und Polen erneut verbunden hat, um verstärkt gegen das Osmanische Reich vorzugehen. Außerdem werden seine Bemühungen, die Herrschaft in Ungarn nach der Rebellion Thökölys wieder in den Griff zu bekommen, erwähnt.
Die Bemühungen um eine Heilige Allianz gegen den Erbfeind der Christenheit beziehen auch den Zaren in Moskau ein, der mit großer Wahrscheinlichkeit dem Bund beitreten wird. Der Verfasser erläutert nicht ohne Ironie, was für ein Kapital der Moskowiter, der "hinter dem Wall ein Löwe/ und im Feld ein Haase ist", daraus schlagen könnte: "Des Nachbarn Polen versichert und durch die große Allianz gegen Schweden und die Tartaren gestärckt!"
Nach der Schilderung der letzten Nachrichten Ende Januar 1684 aus dem Westen und Norden Europas, die vor allem die friedensstörenden Aktionen Frankreichs betreffen, kommt der Autor noch auf die Interessen Venedigs und Polens in Bezug auf die Allianz zu sprechen. Er schließt seinen Bericht mit elf (falsch nummerierten) "Haupt Maximen", die im Krieg gegen die Türken zu gebrauchen wären und die auf die militärische Einkreisung des Osmanischen Reiches (sogar unter Einbeziehung der Perser) durch die in der Heiligen Allianz geeinten christlichen Mächte bauen.

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C) Europabegriff und -vorstellung des anonymen Verfassers

"Europa" präsentiert sich in der Flugschrift zunächst als das Europa der Mächte und Allianzen. Die verschiedenen Bündniskonstellationen offenbaren die gespannte politische Situation innerhalb des Kontinents, deren Ursache in der auf Hegemonie ausgerichteten Politik Frankreichs zu suchen ist. Die Fürsten, vor allem des Heiligen Römischen Reiches, waffnen sich "in der gerechten Intention, der Christenheit vorzustehen/ den Unchristlichen Proceduren [der französischen Krone] zu widerstreben/ und dem ein Zeit her betrübt gewesenen Europa zu Trost zuleben".
Trost soll "Europa" vor allem in der Bildung eines großen Bündnisses gegen die Türken finden, denn für den anonymen Verfasser ist "Europa" in erster Linie die Christenheit und somit die Gemeinschaft aller christlichen Fürstentümer, Monarchien und Republiken, wozu er auch den "Moscowitischen Hof" zählt. Eine Unterscheidung zwischen den Konfessionen unternimmt er nicht.
Wichtigste Mission der christlichen Mächte ist der Krieg gegen die Türken, die als Erbfeinde der Christenheit gelten. Dieser Krieg, für den der Autor der Flugschrift nun den richtigen Zeitpunkt gekommen sieht, soll zur Glorie Gottes und zum allgemeinen Heil geführt werden. Für ein so großes und wichtiges Unterfangen bedarf es der Einigkeit unter den christlichen Fürsten. Sollte daher irgend ein Potentat in der Christenheit Unruhe stiften oder sogar in Verhandlungen mit den Türken treten, "soll man [ihn] nicht anderst als den Türcken selbst achten/ ihn gleich den Türcken verfolgen/ ihm nachtrachten/ und von aller Christlichen Gemeinschafft und Dignität abschneiden und entsetzen/ oder zum wenigsten durch billige Straff zur Erkandtnuß seines Irrthumbs/ Frevels/ und hochmüthigen Fählers bringen".
Frankreich gilt als der Unruhestifter in der Christenheit und als größtes Hindernis für die Verwirklichung des großen Zieles. Deshalb hofft der Verfasser, dass durch die sonderbare Gnade Gottes die Streitigkeiten zwischen der französischen und spanischen Krone aufgehoben werden können. Sollte die "Verwirrung unter den Christen verbleiben", so könnten trotzdem "ein Theil von Italien mit Spanien/ Holland und anderen Alliirten den Hochmuth der jenigen dämpffen/ die der Glory Gottes/ und der Wolfahrt der Christenheit so feind wären/ daß sie solche bey einer so widrigen Conjunctur wurden wollen beunruhigen". Den Allmächtigen bittet der Verfasser, "daß er uns wolle den guten Außschlag der grossen Hoffnung/ welche uns dise grosse Bündnuß gibet/ zu seiner Glori/ und unserm Heil erleben und geniessen lassen".

(aw)

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