Anonym [1689] "Mercurius"

Europaeischer Mercurius, Oder Goetter-Both:
Das ist/ Jetztlebend- und Regierender Potentaten Kriegs- und Friedens-Actiones, Darinnen Monatlich dem Curieusen Liebhaber deroselben Staats-Maximen, getroffene Alliantzen/ blutig-gehaltene Scharmuetzel/ hart-beschehene Belaegerungen/ gluecklich-gethane Eroberungen ec. Samt allen/ Was sich sonsten im gantzen Europa hin und wieder am Merck- und Denckwuerdigsten begeben und zugetragen; Von einer unpartheyischen Feder vor Augen gestellet werden. [Januarius-October.]
[s. l.] Anno M DC LXXXIX.

Zitierweise: Rolf Felbinger: Quellenautopsie "Anonym (1689) Mercurius", in: Europabegriffe und Europavorstellungen im 17. Jahrhundert. Web-Projekt, Wolfgang Schmale (Dir.). https://europaquellen.univie.ac.at/einzelansicht/news/anonym-1689-mercurius/

Schlagworte: Monatsschrift; Nachrichten; Osmanisches Reich; Weltteil;

Fundort: ÖNB / BE.2.Q.51

A) KurzbiographieB) Beschreibung der Quelle C) Europabegriff und -vorstellung des anonymen Verfassers

A) Kurzbiographie

[Anonymer Verfasser]

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B) Beschreibung der Quelle

Der "Europaeische Mercurius" ist eine Monatsschrift, eine Frühform der Zeitung, die im Zeitraum zwischen Januar und Oktober 1689 regelmäßig herausgegeben wurde. Frühere bzw. spätere Exemplare lassen sich zwar nicht nachweisen, doch existieren Ähnlichkeiten zu anderen zeitgenössischen Publikationen, etwa hinsichtlich der Titelgestaltung, der bildlichen Illustration oder der Nachrichtenauswahl (vgl. Anonym [1674] "Goetter=Both"). Die erste Ausgabe der "Mercurius"-Reihe umfasst ein Frontispiz, ein Titelkupfer, eine "Vorrede an den guenstigen Leser" sowie "Berichte aus allen Teilen Europas". Alle weiteren Bände halten sich an diesen vorgegeben Aufbau, lediglich auf das Frontispiz wurde in weiterer Folge verzichtet.
Der vorangestellte Kupferstich der Erstausgabe, der die Signatur "Daucher sc[ulpsit]." trägt, visualisiert recht vielschichtig, welche Ziele der Herausgeber mit seinem Medium verfolgt. So zeigt die Graphik im Bildvordergrund, der ungefähr ein Drittel der Gesamtfläche einnimmt, eine politische Verhandlung an einem runden Tisch. An der Zusammenkunft nehmen sechs Verhandlungsführer in eleganter Aufmachung (Allongeperücke, Justaucorps, Spitzenjabon usw.) teil, die sich paarweise in einer regen Diskussion befinden. Auf dem Tisch liegen dabei allerlei Schriftstücke, ein Tintenfass und ein Federkiel, so dass der Betrachter den Eindruck hat, unmittelbarer Zeuge bei einem wichtigen Zeitgeschehen zu sein. Die Themen dieser Konferenz erläutert das mittlere Bilddrittel, das diverse Kampf- und Schlachtszenen zu Lande und Wasser wiedergibt, die dem Leser erneut den Eindruck von Unmittelbarkeit suggerieren sollen. Abgerundet werden diese beiden, auf "reale" Begebenheiten abzielende Bildteile durch das obere Drittel, das eine schwebende Göttergestalt in antikisierter Rüstung zeigt und auf allegorischer Ebene gedeutet werden muss. Die Gestalt entpuppt sich als der fliegende Bote Merkur, der, nachdem er sich eine Übersicht über die Geschehnisse verschafft hat, für die Verbreitung der Nachrichten aus allen Teilen Europas sorgt. Aus seinem horizontal gehaltenen Stab entwickelt sich dabei während seines Fluges ein Spruchband, welches die Aufschrift "Monathlich=Europaeischer Götter=Both" trägt. Als ebenso aufmerksamer wie unbestechlicher Beobachter trägt er nicht nur einzelne Details zusammen, sondern weiß sie auch in geschickter Weise miteinander zu verbinden und aufzubereiten, bevor er sie an das Publikum weiterleitet. "Mercurius" steht folglich für die optimale Informationsversorgung des Lesers, was ihn in Weiterentwicklung der antik-mythischen Sichtweise als eine Art frühneuzeitliches Sinnbild des "rasenden Reporters" erscheinen lässt: "In Erwegung nun solcher bereits zum Theil am Tag ligenden Revolten/ Kriegs-Unruhen/ Reichs-Veraenderungen/ und vieler anderer noch niemals erhoerten Begebenheiten mehr/ welchen allen die Nach-Welt versicherlich kaum Glauben zustellen/ und Beyfall geben wird/ hat sich der gegenwaertige Mercurius, oder Goetter=Both/ auf den allgemeinen Schau-Platz der Welt zu repræsentiren/ und dem guenstigen Leser/ so viel und mancherley Seltenheiten/ nicht zwar mit hochtrabend- und weitumschweiffenden Redens-Arten/ sondern in aller Kuertze/ jedoch auf das warhafftig- und deutlichste/ vor Augen zu stellen/ vorgenommen. Er will [...] Monathlich erscheinen/ und eine genaue Relation von den Europæischen Kriegs- Friedens- und Staats-Affairen/ rc. als viel ihme bey Durchreißung der Irrdischen Goetter Hoefe zu erforschen/ und/ vermittelst guter Correspondenz/ zu erhalten wird mueglich seyn/ ablegen und abstatten."
Die Berichte der zehn Ausgaben wurden "aus allen Teilen Europas" zusammengetragen und durchschnittlich mit zwei bis drei, zum Teil gefalteten Graphiken ergänzt. Sie zeigen unter anderem Portraits hochgestellter Personen, Kriegsschauplätze, Residenzen oder stellen Veduten mit unterschiedlichen Inhalten dar. Außerdem ergänzen Quellentexte und -auszüge in deutscher, französischer und lateinischer Sprache die jeweiligen Berichte, was deren Authentizität gelegentlich effektvoll unterstreicht. Der Umfang der einzelnen Ausgaben variiert von 59 bis 98 Seiten, wobei die Monate Mai und Juli überdurchschnittlich stark und die Monate April und Juni überdurchschnittlich schwach ausgefallen sind. Der Grund, warum die Monatsschrift mit der Ausgabe Oktober 1689 eingestellt wurde, ist zwar nicht eindeutig festzustellen, doch liegt die Vermutung nahe, dass finanzielle Schwierigkeiten die Ursache waren, insbesondere da die Druckqualität nach den Sommerausgaben deutlich absank. Leider sind Informationen über den Herausgeber, den Verlagsort oder die Höhe der Auflage des "Europaeischen Mercurius" weder verfügbar, noch rekonstruierbar.

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C) Europabegriff und -vorstellung des anonymen Verfassers

Wie zahlreiche andere Schriften liefert der "Europaeische Mercurius" keine eindeutige Definition "Europas". Daher lassen sich auch anhand dieser Quelle nur indirekt Aussagen über das Europabild des/der Autoren treffen. Als Anlass für die Herausgabe der Zeitung gibt der anonyme Verfasser an, dass augenblicklich in Europa große revolutionäre Vorgänge stattfänden, von denen primär die Auseinandersetzungen in England und der erneute Krieg zwischen dem Deutsch-Römischen Reich und Frankreich zu nennen sind. Beide Beispiele haben für ihn eine herausragende Bedeutung, weil ihr jeweiliger Ausgang nicht nur die beteiligten Staaten, sondern vielmehr den gesamten "Weltteil Europa" betreffen werden. Welche Monarchien, Fürstentümer, Republiken, Provinzen und Städte (Hervorhebung der einzelnen Orte durch Fettdruck) er hierzu zählt, lässt sich aus der Berichterstattung der zehn Ausgaben herauslesen. Widmet sich das Januarheft noch ausschließlich den Potentaten "Engelland", "Franckreich" und "Roemisches Reich", so entschuldigt sich der Autor im Vorwort des zweiten Bandes für diese Einseitigkeit und verspricht, künftig den ganzen Weltteil zu beobachten: "Demnach in dem vorhergehenden Monat/ der angefuehrten Ursachen halber/ die übrigen Staaten von Europa nicht haben mitberühret werden koennen: Als hat der Mercurius seine Reise gegen Orient, und so dann nach Occident zu nehmen/ auch nunmehro/ was ihm daselbst zeithero begegnet oder vorhin zur Hand gekommen/ best-möglichst vorzustellen resolviret." Demnach findet der Leser in den folgenden Ausgaben diverse Berichte aus Portugal, Spanien, Irland, Schottland, Dänemark, Schweden, Polen, Österreich, Ungarn, Bosnien, Serbien, Italien, der Schweiz sowie aus "Moscau" und der "Tuerckey". Auffällig sind in dieser Hinsicht zwei Fakten: Einerseits weiß der "Mercurius" kaum etwas über das weit entfernte "Moscau" weiterzugeben, so dass die Berichte über das Zarenreich recht marginal ausfallen, und andererseits misst er die "Tuerckey" mit zweierlei Maß, denn ihre Taten in "Asia" haben für ihn eine andere Qualität als ihre Taten in "Europa", ohne dabei detailliert auf die Ursache dieser Betrachtungsweise einzugehen. Aufgrund des noch immer anhaltenden Krieges gegen das Osmanische Reich tauchen die "Tuercken" zwar recht kontinuierlich in den einzelnen Ausgaben auf, doch werden Nachrichten, die mit ihnen im Zusammenhang stehen, ohne eine auffällig tendenziöse Färbung an den Leser weitergegeben. Christliche Bezüge spielen in dieser Quelle auch im Hinblick auf den "Erbfeind" lediglich eine untergeordnete Rolle.

(rf)

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