Anonym [1691] "Discursen"

Discursen von dem ehemaligen Kriegszustand in Europa/ in dem Reich Teutschen Landes/ in Ungarn/ in Italien/ Spanien/ Engeland/ Holland/ in der Schweiz/ in Schweden/ Dennemarck/ Moscau/ Polen/ Portugall/ und dann an der Türckischen Porten/ in Franckreich;
Auch was dieses Jahr für Anstalten gemachet/ und was bey der grossen Versammlung der hohen Alliirten im Haag beliebet worden.
[S. l.] Im Jahr 1691.

Zitierweise: Josef Köstlbauer: Quellenautopsie "Anonym (1691) Discursen", in: Europabegriffe und Europavorstellungen im 17. Jahrhundert. Web-Projekt, Wolfgang Schmale (Dir.). https://europaquellen.univie.ac.at/einzelansicht/news/anonym-1691-discursen/

Schlagworte: Diskurs; Flugschrift; Frankreich; Krieg; Kriegsschauplatz; Reunionen; Universalmonarchie; Weltteil;

Fundort: ÖNB / 63.H.23.(3)

A) KurzbiographieB) Beschreibung der Quelle C) Europabegriff und -vorstellung des anonymen Verfassers

 

A) Kurzbiographie

[Anonymer Verfasser]

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B) Beschreibung der Quelle

Diese 108 Seiten umfassende kleinformatige Flugschrift erschien im Jahr 1691 ohne Angabe von Autor, Drucker und Verlagsort. Obwohl vergleichbare Druckschriften zahlreich genug verfasst und oft mehrmals verlegt wurden, konnte im vorliegenden Fall keine weitere Auflage festgestellt werden.
Der anonyme Autor behandelt im Wesentlichen die politischen Ereignisse seit dem Frieden von Nimwegen (1678) bis zum Anfang des Jahres 1691. Zur Zeit der Drucklegung befand man sich im dritten Jahr des später als Pfälzischer Krieg (1688-1697) bekannten Konflikts. 1688 hatte Ludwig XIV. seine Truppen in die linksrheinischen Territorien befohlen, um die Erbansprüche seiner Schwägerin Elisabeth Charlotte auf die Pfalz durchzusetzen. Der 1689 gebildeten Allianz von Kaiser, Spanien, Schweden, Savoyen und den Niederlanden gelang es, weitere französische Vorstöße zu unterbinden. Mitte März 1690 wurde die in dieser Schrift erwähnte Alliiertenkonferenz im Haag einberufen, die bis Kriegsende tätig bleiben sollte. Vor diesem Hintergrund blickt der Autor zurück auf den Frieden von Nimwegen, den er als Ausgangspunkt der aktuellen Wirren identifiziert, und behandelt die darauf folgende französische Reunionspolitik im Elsass und in den spanischen Niederlanden (1684) bis hin zur Anfangsphase des Pfälzischen Krieges.
Nach der allgemeinen Darstellung der Geschehnisse geht der Autor nicht chronologisch-thematisch vor, sondern nach geographischen Gesichtspunkten: In vierzehn Kapiteln wird "von dem Kriegs=Zustand" im Reich, in Italien und Savoyen, in Spanien, England, den Niederlanden, der Schweiz, in Polen, Russland, Schweden, Dänemark, Portugal, in der Türkei und in Frankreich berichtet. Dabei wird die Vorgeschichte der politischen Situation des jeweils besprochenen Landes dargestellt, sowie dessen Position in den gegenwärtigen politischen Konstellationen. In zwei weiteren Kapiteln werden sich abzeichnende künftige Entwicklungen skizziert, vor allem in Bezug auf Optionen und Pläne Frankreichs. ("Was in Franckreich vor Considerationes auf das Künfftige geführet werden"; "Was die bishero angeführte Französische Anschläge hinwider zu nichten/ und was für Gegen=Anstalten gemacht werden.")
Der Autor lastet die Schuld am Kriegszustand in Europa zweifellos Frankreich an, und nimmt damit eine eindeutige und für die Zeit im Reich typische antifranzösische Position ein: "Wann auf viele secula zurück gesehen wird/ so ist Europa solche Kriege nicht verwickelt gewesen/ als heutiges Tages/ wozu die Crone Franckreich/ wann es beym Liecht besehen wird/ Ursach gegeben/ wie es vorhin Welt=kundig ist." Aber die vorliegende Quelle unterscheidet sich von der Mehrzahl verwandter Schriften durch ihren nüchternen und unpolemischen Charakter. Die beliebten Rekurse auf nationale Stereotypen fehlen, ebenso wie ausführliche Schilderungen der Grausamkeit und Verworfenheit des Feindes. Stattdessen wird durchaus pragmatisch argumentiert: "Bald sind die Frantzösische Reuniones angegangen/ und unter denselben fast alles/ was jenseits Rheins zum Reich gehöret/ und in dem Münsterischen Frieden demselben ausdrücklich reservirt geblieben/ ansprüchig gemacht/ auch das meiste/ wo nicht andere Reflexiones darbey wären/ mit Gewalt unter sein Joch genommen letztlich auch die Haupt=Stadt und Vestung Straßburg Anno 1681. occupiret/ da jederman dem Frieden getrauet/ ohne einige andere Ursach/ als sich derselben vor dem Käyser zu bemächtigen/ unter dem Vorwand/ der Käyser hätte Besatzung hineinlegen wollen/ die Franckreich hätte incommodiren sollen. So habe der König praevenieren müssen. Aber dieses Praeventions-Recht/ welches sich Franckreich/ auch sonderlich bey Hinwegnehmung der Vestung Philippsburg gebrauchet hatte/ wäre ein Mittel gewesen/ das gantze Reich also nacheinander/ und fort die gantze Welt in Friedenszeiten unversehens einzunehmen."
Der anonyme Autor stellt im Schlusswort selbstbewusst fest: "Es sind keine Relationes, sondern Discursen, darunter Conjecturen und unterschiedliche Erzehlungen passirlich sind." Ursachen, Ablauf, Bedeutung und absehbare Auswirkungen der politischen Ereignisse in Europa werden ausführlich und strukturiert diskutiert. Die Verhandlungen der Alliierten in den Haag, so der Autor, wären zum Großteil geheim geblieben: "Jedoch ist viel davon in diesen Discursen enthalten/ das dabey vorkommen/ welches die jenige am besten mercken werden/ die selbst dabey gewesen." In diesen Aussagen klingt der Stolz eines informierten und gebildeten Berichterstatters mit.

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C) Europabegriff und -vorstellung des anonymen Verfassers

Europa als Thema tritt in dem Text nicht auf, so ist bestenfalls indirekt auf zugrunde liegende Europavorstellungen zu schließen. Die wenigen Passagen, in denen der Autor den Begriff verwendet, haben geographisch-räumliche Bezüge. Die bekannte Kombination von Europa mit dem Begriff "Christenheit" klingt allenfalls in Zusammenhang mit den Türken an, ohne dass dies je explizit formuliert würde. Von Interesse ist allenfalls ein Hinweis auf den thematischen Komplex der Universalmonarchie und auf die Tradition eines Ost- und Westreiches: Frankreich strebe das okzidentale Kaisertum an, nachdem die Türken das orientalische gewonnen hätten. Aber auch dieser Gedanke wird vom Autor nicht weiter konkretisiert. So bleibt ein unbestimmtes Bild von einem geographisch-politischen Kriegsschauplatz Europa, gebildet aus Königreichen und Fürstentümern, welches an seiner Peripherie auch Russland ("Moscau") und das Osmanische Reich einschließt.

(jk)

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