Anonym [1698] "Compendium"

Compendium Eventuum Negociorumq Publicorum;
Oder:
Wider=schall dessen/ was sonderlich die Europaeisch/ und dann die weitere Welt=Fama von Denckwürdigem/ in Staats= Kriegs= Glücks= Natur= Kunst= und anderen curiosen Vorfallenheiten Neulichster Zeit kundbar und wissend gemacht.
Welchen beygefügt einige politische Reflexionen über die Staats=Materien.
Auch mit schönen Kupffern/ und einem dienlichen Register versehen. [Bd. 1]
Augspurg/ Druckts und verlegts Jacob Koppmayer/ und Andreas Maschenbauer/ 1698.

Zitierweise: Josef Köstlbauer: Quellenautopsie "Anonym (1698) Compendium", in: Europabegriffe und Europavorstellungen im 17. Jahrhundert. Web-Projekt, Wolfgang Schmale (Dir.).
https://europaquellen.univie.ac.at/einzelansicht/news/anonym-1698-compendium/

Schlagworte: Allianzen; Bündnisse; Chronik; Flugschrift; Geschichtsschreibung; Gleichgewicht; Mächtesystem; Nachrichten; Traktat; Weltteil;

Fundort: ÖNB / BE.6.R.48

A) KurzbiographieB) Beschreibung der Quelle C) Europabegriff und -vorstellung des anonymen Verfassers

 

A) Kurzbiographie

[Anonymer Verfasser]

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B) Beschreibung der Quelle

Die zwei Bände des Compendium Eventuum Negociorumq[ue] Publicorum wurden im Jahr 1698 in Augsburg von den ortsansässigen Verlegern Jacob Koppmayer und Andreas Maschenbauer herausgegeben. In dem Exemplar der Österreichischen Nationalbibliothek, das für diese Quellenanalyse herangezogen wurde, sind beide Bände des Compendiums in einer Bindung zusammengefasst. Keiner der Bände weist ein Frontispiz auf, die Druckqualität des ersten Bandes ist schlecht.
Die Quelle ist nicht leicht einzuordnen, sie befindet sich am Schnittpunkt zwischen den beiden im 17. Jahrhundert sehr verbreiteten Gattungen Geschichtserzählung und Nachrichtensammlung. Die Schwierigkeit liegt in der engen Verwandtschaft dieser Genres, zumindest was das 17. Jahrhundert betrifft. Wie im Vorwort zum Compendium angeführt bezogen die Verfasser und Kompilatoren derartiger Werke ihre Informationen aus weitgespannten Korrespondenznetzen und veröffentlichten sie in mehr oder weniger stark redigierter Form. Zahlreiche Geschichtswerke jener Zeit waren wenig mehr als Chroniken, die Nachrichtensammlungen aus verschiedenen Jahren zusammenfassten und sich damit lediglich durch ihre chronologische Erstreckung, nicht aber durch interpretierende Anstrengungen von diesen unterschieden.
Das Compendium Eventuum behandelt Ereignisse zwischen dem September 1697 und dem Jänner 1698 - mehr oder weniger rezente Begebenheiten also - so dass von einem historischen Werk nicht wirklich gesprochen werden kann. Nichtsdestotrotz erhebt der Autor des Werkes im Vorwort zum ersten Band genau diesen Anspruch, und zwar aus dem Verständnis heraus, dass durch die Niederschrift und den Druck Ereignisse für die Nachwelt festgehalten werden. Dahinter steht ein (sehr verbreitetes) Bild von der Geschichtsschreibung als Spiegel vergangener Ereignisse und vom Geschichtsschreiber als Archivar der Vergangenheit. ("Ohne sie [die Geschichtsschreibung]/ sage ich/ sitzen wir im Finstern/ wie die Cimmeristen/ Neu=Zemblaner oder Samojeder/ wann sie in der sechsmondigen nacht unter dem Schnee hocken.")
Der Aufteilung in zwei Bände entspricht keine thematische, geographische oder chronologische Aufteilung des Inhalts, in beiden Bänden werden Nachrichten aus den gleichen Ländern und Staaten und sowohl aus den Jahren 1697 als auch 1698 vorgestellt. Vielmehr spiegelt die Bandaufteilung die Verzögerungen und Unwägbarkeiten der für die Informationsbeschaffung notwendigen Korrespondenzen wider.
Inhaltlich sind die beiden Bände gleich strukturiert, sie bestehen aus drei, jeweils getrennt nummerierten Segmenten. Einem kurzen, unbetitelten Vorwort folgen verschiedene Nachrichten über politische Ereignisse, aufgeteilt nach Ländern und Staaten. Dabei wird in jedem der beiden Bände zu Beginn die Figur des Götterboten Merkur eingeführt, der von der iberischen Halbinsel aus gen Osten die europäischen Länder durcheilt um Neuigkeiten zu sammeln. Diese auf dem (sehr beliebten) Merkur-Motiv beruhende Rahmenhandlung wird in der Folge aber nicht mehr weiter ausgebaut.
Auf die politischen Ereignisse folgen dann in beiden Bänden Katastrophenberichte und Sensationsmeldungen (unter anderem: "Cataclysmis und Wasser=Fluten"; "Von Sturm=Winden"; "Von Schiff=Brüchen"; "Von natürlichen und zufälligen Feuers=Brünsten"; "Von merckwürdigen Todes=Fällen; "Von Zwytracht/ Aufruhren und Duellen, Schand- und Laster=Thaten"; "Vom Vatter= und Kinder/ auch Eheleuten=Mord").
Auf diesen Abschnitt folgt im ersten Band des Compendiums ein Traktat mit dem Titel "Politische Nachsinnlichkeiten und Reflexiones auf die Um= und Anstände gegenwärtiger Staats= und Kriegs=Beschaffenheiten". Im zweiten Band hingegen steht eine weitere thematische Nachrichtensammlung am Schluss, der "Auszug und Extract Besonderer Fest= und Solemnitäten/ neuer Erfindungen, nebst andern sonderbaren denck= und merckwürdigen Begebenheiten". Beide Bände sind mit einem kurzen nachgestellten Inhaltsverzeichnis ("Register") versehen. Ihr Inhalt wird durch einige unsignierte Kupferstiche von minderer Qualität ergänzt, die ausgewählte Ereignisse szenisch festhalten.

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C) Europabegriff und -vorstellung des anonymen Verfassers

Wie bei der Mehrzahl ähnlich gearteter Quellen fehlen auch hier spezifische Reflexionen des Europabegriffes (siehe Eberhard Werner Happel 1692 und Martin Meyer 1659). Immerhin gibt die Liste der behandelten Länder eine Vorstellung von der geographischen Dimension des Europabegriffes des anonymen Verfassers/Kompilators. Genannt werden Spanien, Portugal, Frankreich, England, die Vereinigten Niederlande, Dänemark und Schweden, das Moskowiterreich, Polen, das Kaiserreich, das Osmanische Reich, Italien (und gesondert Venedig, Genua, Mailand) sowie die Schweiz. Beachtenswert ist allenfalls, dass auch hier das Osmanische Reich, wie die christlichen Reiche, eigens behandelt wird. Zwar tragen die Osmanen auch in diesem Fall das Stigma der Gegner der Christenheit, aber sie erscheinen trotzdem als Teil des europäischen Mächtegefüges. Die vorliegende Quelle befindet sich angesichts dieses Aspektes mit vergleichbaren Werken im Gleichklang.
Einen tieferen Einblick eröffnet glücklicherweise das Traktat "Politische Nachsinnlichkeiten und Reflexiones auf die Um= und Anstände gegenwärtiger Staats= und Kriegs=Beschaffenheiten" am Ende des ersten Bandes, in dem die zeitgenössische Vorstellung von Europa als sensibles politisches System der Mächte belegt wird. Der Traktat beschäftigt sich mit dem eben im Frieden von Rijswijk beendeten Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688-1697), in dem Frankreich einer Allianz von Kaiserreich, England, Spanien, den Vereinigten Niederlanden, Schweden und (zeitweise) Savoyen gegenüberstand. Der Erhalt des Gleichgewichtes zwischen den Mächten erscheint dabei als primäre Aufgabe der Politik und der einzige Weg, den Frieden in Europa zu erhalten. Dementsprechend müssen ambitionierte Mächte durch ein flexibles System von Allianzen in Schach gehalten werden, das sich jeweils gegen jene Macht richtet, die zu stark zu werden droht - wie in diesem Fall eben Frankreich. ("Der König in Frankreich mag das Reich prellen/ wiegen oder hobeln/ [...] Aber Engelland möchte ich nicht/ daß er sollte überwältigen [...]Engelland die Balantz von Europa muß halten")

(jk)

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