Anonym [1698] "Friedens=Interesse"

Friedens=Interesse Der Vornehmsten Potentzen In Europa.
[s. l.] Gedruckt 1698.

Zitierweise: Rolf Felbinger: Quellenautopsie "Anonym (1698) Friedens=Interesse”, in: Europabegriffe und Europavorstellungen im 17. Jahrhundert. Web-Projekt, Wolfgang Schmale (Dir.).
https://europaquellen.univie.ac.at/einzelansicht/news/anonym-1698-friedensinteresse/

Schlagworte: Flugschrift; Friede von Rijswijk; Gedicht; Streitschrift;

Fundort: BSB / Res / 4 L.eleg.m. 250,60

A) KurzbiographieB) Beschreibung der Quelle C) Europabegriff und -vorstellung des anonymen Verfassers

 

A) Kurzbiographie

[Anonymer Verfasser]

zum Seitenanfang

 

B) Beschreibung der Quelle

Bei der Quelle handelt es sich um ein in simpler Reimstruktur (aabb) verfasstes Gedicht, das im Jahr 1698 ohne Angabe des Verfassers, des Verlegers oder des Druckortes in Umlauf gebracht wurde. Sie umfasst insgesamt 27 vierzeilige Strophen sowie eine abschließende Strophe, die eine Art moralisches Fazit darstellt und aus vier Versen besteht. Da weitere Druckeinheiten wie ein Titelkupfer, ein Vorwort oder Illustrationen fehlen und die Print- und Materialbeschaffenheit von minderer Qualität sind, lässt sich schließen, dass es sich bei diesem polemischen Werk um eine als Streitschrift angelegte Gelegenheitsschrift handelt, wie sie für das letzte Drittel des 17. Jahrhunderts durchaus typisch waren.
Unmittelbarer Anlass der Schrift scheint der Friedensschluss von Rijswijk gewesen zu sein, auf den bereits in der ersten Strophe ("Dieweil der Fried um Mitternacht Zur Unzeit ist zur Welt gebracht;") angespielt wird. Allzu große Hoffnungen setzt der anonyme Verfasser aber nicht in dieses Übereinkommen, das im Jahr 1697 den neun Jahre währenden Pfälzischen Erbfolgekrieg beendet hatte. Er deutet ihn vielmehr als vorläufigen Waffenstillstand, der von allen beteiligten Parteien je nach Interessenslage jederzeit wieder gebrochen werden könnte ("Weil doch der Frieden/wie ihr wisst/ Nur ein verdecktes Fressen ist."). Daher scheint es um den allgemeinen Frieden in Europa schlecht bestellt zu sein, insbesondere weil noch andere Konflikte wie der noch bis zum Frieden von Karlowitz (1699) andauernde 5. Türkenkrieg ("Uns treibt der Käyser/ Ruß und Pohl Aus Budziac und aus Stampol.") oder der sich bereits abzeichnende Nordische Krieg (Komm/ rühr dich nur/ du Dockeman/ Und fang nur solche Händel an/") angesprochen werden.

zum Seitenanfang 

 

C) Europabegriff und -vorstellung des anonymen Verfassers

Das grundsätzliche Problem Europas liegt in den egoistischen, miteinander konkurrierenden Machtinteressen seiner Potentaten, die dazu führen, dass die einzelnen Friedensschlüsse immer wieder schnell Makulatur werden. Ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben bilden die genannten Machthaber (Spanien, Engelland, Schottland, Irrland, Holland, Frankreich, Römisches Reich/Reichsgebiete, Schweitz, Schweden, Dennemarck, Pohlen, Moscau, Ungarn, Türckisches Reich, Savoyen, Venedig, Papsttum) dabei eine Art Staatengemeinschaft, die in einen permanenten internen Konkurrenzkampf verstrickt ist. In diesem Zusammenhang spielt für den Autor der Gedanke der christlichen Einheit, die Idee der Nächstenliebe und die Vorstellung des unbedingten Gottvertrauens eine wichtige Rolle, obwohl oder vielmehr gerade weil sie realpolitisch kaum noch wirklich beachtet werden.
Ein besonders eklatantes Beispiel bietet angesichts dieses Aspekts Frankreich unter der Herrschaft Ludwigs XIV., der in seinem Drang nach einer Universalmonarchie ("Laß doch die Grillen/ mein Louys, Von Deiner fünfften Monarchie;") sogar mit den andersgläubigen Türken ("Ihr Muselmänner frisch zu Feld/ Ich steh euch bey mit Volck und Geld;"), dem christlichen Erbfeind, paktiert. Das traditionell-religiöse Gedankengut, das so eng mit der europäischen Kultur vernetzt ist, artikuliert sich nach den Aussagen des anonymen Verfassers daher am besten durch die Stimme der "Gemeinen Christenheit", die weniger korrumpiert durch das allgemeine Besitzdenken an den Maximen des Glaubens festhält. Letztendlich sei doch Gott allein der unumschränkte Herrscher der Welt, so dass niemand - ohne Rücksicht auf die erlangte weltliche Größe - die Macht habe, sich gegen seinen Willen zu erheben. Die finale Strophe der Flugschrift wirkt daher wie ein allgemeiner Aufruf, zum wirklichen Glauben zurückzukehren, der schließlich auch als Grundlage für den allgemeinen Frieden in Europa dienen würde.

(rf)

zum Seitenanfang