Anonym [ca. 1683] "Glücks=Spiel"

Das verkehrte Glücks=Spiel Europäischer Alliantzen/
Welche vornehmlich in diesem Jahrhundert/ unter denen Europäischen Potentaten und Republiquen/ geschlossen/ hingegen aber durch listige Staats=Streiche/ Gegen-Alliantzen/ auch andere Glücks= und seltzame Zufälle wunderlich seyn verkehrt worden. Nebenst vielen merckwürdigen Seltenheiten und curiösen Anmerckungen vorgestellet.
[s. l.] In Verlegung des Authoris. [s. t.]

Zitierweise: Josef Köstlbauer: Quellenautopsie "Anonym (ca. 1683) Glücks=Spiel", in: Europabegriffe und Europavorstellungen im 17. Jahrhundert. Web-Projekt, Wolfgang Schmale (Dir.).
https://europaquellen.univie.ac.at/einzelansicht/news/anonym-ca-1683-gluecksspiel/

Schlagworte: Allianzen; Bündnisse; Spiel; Traktat; Universalfrieden;

Fundort: UBW / I 256.949 Adl.

A) KurzbiographieB) Beschreibung der Quelle C) Europabegriff und -vorstellung des anonymen Verfassers

 

A) Kurzbiographie

[Anonymer Verfasser]

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B) Beschreibung der Quelle

Die Quelle findet sich im Anhang der "Morphei Französisch=Türckische Schau=Bühne/ Oder Des Traumenden Rationis Status Curiose und Politische Schwätz=Gesichter", die 1690 unter dem Pseudonym Irinophilus Nugaeserius Freymund zur Publikation gelangte. Angaben zum Urheber, Erscheinungsjahr und Verlagsort fehlen völlig und es ist lediglich vermerkt, dass das Werk im Selbstverlag des Autors erschien. Das Schriftenkonvolut enthält keine Hinweise auf die Identität des Verfassers und selbst die - undokumentierte - Inkorporation von fremden Schriften erlaubt dem Bearbeiter keinen logischen Rückschluss, da die Beiheftung im Anhang eines anderen Werkes gängige Praxis der Zeit war. Aufgrund der in der Quelle enthaltenen Angaben kann der Entstehungszeitraum aber auf die Jahre 1682/83 eingegrenzt werden. Im Gegensatz dazu gibt der Katalog der Universitätsbibliothek Wien noch "ca. 1680" als Veröffentlichungszeitpunkt an - diese Angabe ist nach Bearbeitung der Quelle nicht mehr haltbar.
"Das verkehrte Glücks=Spiel Europäischer Alliantzen" umfasst 120 Seiten und ist in 31 Kapitel strukturiert, wobei eine Widmung, ein Vorwort oder ein Inhaltsverzeichnis nicht existieren. Der Inhalt beschäftigt sich, wie schon der Titel nahe legt, mit dem komplexen Wechselspiel der Allianzen zwischen den europäischen Mächten und den daraus resultierenden Erfolgen oder Niederlagen. Der Autor deckt dabei den ganzen Zeitraum vom Beginn des Dreißigjährigen Krieges bis 1682/83 ab. Im Vordergrund stehen die Konflikte zwischen Schweden und Polen sowie Frankreich und dem Kaiserreich. Sehr ausführlich und luzide schildert der Autor, wie die beteiligten Mächte ihre Ziele zu erreichen suchen, welche zentrale Rolle Allianzen hierbei spielen und wie sich andere europäische Mächte in diesem Spiel positionieren, um den eigenen Einfluss zu erweitern oder von der Schwäche anderer zu profitieren.
Auffällig ist die beharrliche und vielfältige Verwendung der Metapher des "Spieles" für die politischen Abläufe. Die Mächte erscheinen als Beteiligte eines Würfelspieles und ihre Länder und Armeen sind der Spieleinsatz. ("Anfangs dachte man wohl/ wenn das Spiel nur erstlich angefangen/ und die Würffel/ so zu reden/ auf dem Teutschen Boden einmal möchten wiederum aufgeworffen seyen/ so dann wolte man/ wie vormahls in dem Teutschen Kriege/ sein Glück nicht verschlaffen/ sondern einen so glücklichen Wurff thun/ dass sich viel darüber verwundern sollten") Aus dieser Diktion lässt sich eine moralische Botschaft ableiten, die darauf hinweist, dass das Schicksal nicht vom Menschen bezwungen werden kann. Die Pläne und Vorhaben der regierenden Parteien erscheinen unter dieser Prämisse als leichtsinnig bis vermessen: "Auf diese Weise hatte Schweden das seinige in Teutschland bey gedachtem Spiele zugesetzet und verlohren/ an statt/ dass es ein mehrers zu gewinnen vermeynet".
Bemerkenswert ist an dieser Quelle, dass der Autor im Gegensatz zu den zahlreichen Geschichtschroniken seiner Zeit keine Aufzählung von Ereignissen liefert, sondern vielmehr die Motive und Auswirkungen von politischen Aktionen zu analysieren versucht. So ist "Das verkehrte Glücks=Spiel Europäischer Alliantzen" am ehesten als politisches Traktat zu charakterisieren.

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C) Europabegriff und -vorstellung des anonymen Verfassers

Zwei, einander entgegengesetzte Europabilder erscheinen in dieser Quelle. Einerseits stellt sich Europa als Objekt eines Spiels der die europäischen Mächte dar, die um Territorien und Einfluss ringen. Ihre Ziele sind dabei entweder der Ausbau ihrer Macht oder die Erhaltung eines labilen Gleichgewichtes, um die Durchsetzung hegemonialer Ansprüche von Seiten anderer zu verhindern. Andererseits wird die Vorstellung eines im Sinne des "pax universalis" ge- und vereinten christlichen Europas deutlich.
Sowohl die bestehende Mächtekonstellation und Allianzpolitik als auch das alternative Wunschbild vom christlichen Universalfrieden sind auf die traumatisierenden Erfahrungen des Dreißigjährigen Krieges zurückzuführen. Der Autor empfindet die aktuelle politische Situation eindeutig als negativ, da hier Krieg und Unfrieden perpetuiert werden. Anstatt als Spieler aufzutreten wäre es die Aufgabe der Herrschenden in ihrer Rolle als christliche Fürsten, den Frieden herbeizuführen und zu sichern. Der letzte Absatz des Werkes enthält einen entsprechenden Appell: "Die Beschaffenheit gegenwärtiger Zeit ist so unglückseelig/ dass man Frieden im Frieden suchen/ und im Frieden selber Frieden zu machen gesuchet werden muß. Europa hat/ die vergiessung des Cristen=Bluts zu stillen/ zu Münster und Westphalen viel Jahr lang allen Fleiß und Sorgfalt angewendet/ dass dem Frieden Rath mögte geschaffet werden."

(jk)

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