August Bohse [1698]

Talander:
Die Liebenswürdige Europaeerin Constantine In einer wahrhafftigen und anmuthigen Liebes=Geschichte dieser Zeit Der galanten und curieusen Welt zu vergönneter Gemüths=Ergötzung vorgestellet.
Franckfurth [Main] und Leipzig/ Verlegts Christoph Hülße/ Anno 1698.

Zitierweise: Rolf Felbinger: Quellenautopsie "August Bohse (1698)", in: Europabegriffe und Europavorstellungen im 17. Jahrhundert. Web-Projekt, Wolfgang Schmale (Dir.). https://europaquellen.univie.ac.at/einzelansicht/news/august-bohse-1698/

Schlagworte: Christentum; Frau; Roman; Schauspiel; Tugend;

Fundort: BSB / P.o.germ. 153

A) KurzbiographieB) Beschreibung der Quelle C) Europabegriff und -vorstellung bei Talander [Bohse]

 

A) Kurzbiographie

Der Jurist und Schriftsteller August Bohse wurde am 2. April 1661 in Halle/Saale geboren. Sein Vater Gottfried, der das Amt eines Beisitzers am örtlichen Schöppenstuhl bekleidete, veranlasste ihn nach dem erfolgreichen Abschluss des Gymnasiums im Jahr 1679 zum Umzug nach Leipzig, um an der dortigen Universität Rhetorik und schließlich Jura zu studieren. Nach einem kurzfristigen Studienaufenthalt in Jena kehrte der junge Rechtspraktikant wieder nach Leipzig zurück und ging 1685 für drei Jahre nach Hamburg, wo er als Hofmeister Vorträge über die Redekunst und die Rechte hielt sowie erste literarische Versuche unternahm.
Ab 1688 wechselte er häufig seinen Wohnsitz und reiste beständig zwischen Dresden, Leipzig und Halle, wo er weiterhin seine Vorlesungen, hauptsächlich vor Zöglingen der vornehmen Gesellschaft, ausführte. Im Jahr 1691 erhielt Bohse eine feste Anstellung als Sekretär und Opernlibrettist des Herzogs Johann Adolf von Sachsen-Weißenfels, doch gab er auch zu diesem Zeitpunkt seine freie Vortragstätigkeit nicht auf. Er promovierte 1700 in Jena durch die "Disputatio de iure posthumorum" zum Doktor der Rechte und wurde 1708 zum Professor an der neugegründeten Ritterakademie in Liegnitz berufen.
Unter seinem Pseudonym "Talander" entstand eine Vielzahl von Übersetzungen, Gedichten und - zum Teil sehr auflagenstarken - Romanen wie das "Liebescabinet der Damen" (1685), die "Amazoninnen aus dem Kloster" (1698) oder der "Liebes-Irrgarten" (1724), deren Inhalt dem höfisch-galanten Zeitgeschmack folgte, aber auch schlüpfrige Elemente aufwies. August Bohse starb am 11. August 1740 in Liegnitz.

 

Literatur:

  • Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 3, S. 84.
  • Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 2, S. 4.
  • Neue Deutsche Biographie, Bd. 2, S. 422 f.
  • Heinlein, Otto: August Bohse-Talander als Romanschriftsteller der galanten Zeit. Diss. Greifswald 1939.
  • Tiemann, Heinrich: Die heroisch-galanten Romane August Bohses als Ausdruck der seelischen Entwicklung in der Generation von 1680 bis 1710. Diss. Kiel 1932.

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B) Beschreibung der Quelle

Bohses galanter Liebes- und Abenteuerroman erweist sich als eine quantitativ umfangreiche Quelle. Das insgesamt mehr als 900 Seiten umfassende Werk beinhaltet eine Vorrede des Verfassers, eine weitere Vorrede eines anonymen Autors ("Ihr Erkenntlichster W."), den eigentlichen Romanteil sowie eine Schauspielfassung des Geschehens. Während der vorangestellte Liebesroman in 49 Kapitel unterteilt ist, gliedert sich das anschließende "Lust= und Schau=spiele" in 5 Handlungen/Akte bzw. in 102 Auftritte/Szenen (1/13, 2/24, 3/20, 4/22, 5/23), die das Geschehen um die Titelfigur in fast unveränderter Weise wiedergeben. Der Theaterfassung steht - neben einer Einleitung, einigen Regieanweisungen, einer knappen Inhaltsangabe sowie einem Rollenverzeichnis - ein Briefwechsel mit der Dame vor, deren angeblich authentische Geschichte in leicht überarbeiteter Form (Pseudonym "Constantine", weitere Abänderungen bei Personennamen und Orten der Handlung in "Deutschland" sowie seinen Nachbarländern) erzählt wird.
Bereits in der ersten Vorrede legt Bohse großen Wert darauf, dass sein Werk kein Roman im üblichen Sinne sei, sondern lediglich die Lebensbeschreibung einer mit außergewöhnlichen Tugenden versehenen Frau darstellt: "Allein ich habe hier nur das Ampt eines getreuen Historienschreibers in acht genommen/ welcher der Geschichte keinen Zusatz geben soll/ sondern sie bey ihrer Reinligkeit zu lassen sich gehalten findet. Ich mahle diese liebenswuerdige Constantine, dero Handlungen auff lauter Ruhm und Ehre zielen/ und sich ohne sonderbare Großmuth niemahls an dem Tag legen/ gantz frey von Schmeicheley ab/ wie ich den Grundriß dazu aus denen bey mir gehabten Originalien [...] angetroffen/ und [...] theils aus ihrem eigenem Mundt/ theils durch muehsam eingezogene genaue Kundschafft das uebrige ihres Schicksals [...] erfahren [habe]." Ebenso wie Bohse beschreibt der Verfasser der zweiten Vorrede unaufhörlich die fast übernatürlich tugendhafte Gestalt der Titelheldin, die als ein "rechtes Wunder-Gebaeu[de] der Natur/und Augen-Weide aller Ihrer Anschauer" bezeichnet wird. Ihre körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Qualitäten und Fähigkeiten seien so hoch einzustufen, dass man weder im Deutschen Reich noch in seinen benachbarten Ländern eine Person (ihres Geschlechts) fände, die sich mit ihr messen könnte.
Der ähnliche Stil und die sich ständig wiederholenden Superlativen bei der panegyrischen Beschreibung "Constantines" lassen die Schlussfolgerung zu, dass es sich bei den angeblich zwei Autoren lediglich um August Bohse selbst handelt. Verstärkt wird dieser Eindruck durch den strukturellen Aufbau des "anderen" Prologs, der an einen pädagogisch inspirierten Vortrag erinnert, wie ihn der rhetorisch geschulte Jurist über Jahrzehnte hinweg gehalten hat. Mit seiner Schwarz-Weiß-Malerei gleicht der Prolog darüber hinaus einer Kanzelpredigt, da sich traktatähnliche Versuche über die Laster der Welt, den Niedergang der christlichen Werte oder den bevorstehenden Untergang vieler europäischer Länder mit den Schilderungen zu den Vorzügen eines christlich-tugendhaften Lebens abwechseln, als dessen ideale Repräsentantin "Constantine" dargestellt wird.
Die eigentliche, nach gängigen Mustern aufgebaute Handlung setzt mit einem Schiffsbruch an der Küste des Baltischen Meeres ein, durch den die Titelheldin den niederländischen Adeligen Alckmar kennen lernt. Beide haben ihre Heimat verlassen und sind auf Reisen gegangen, um eine unglückliche Liebesgeschichte zu vergessen und in fremden Ländern Ruhe zu finden. "Constantine" entpuppt sich in einem Gespräch als Witwe des "Obersten von Revenborg", deren zweite Liebe "Graf Norman aus Albi[a]nien" im Kampf gefallen ist. Wie die vielen anderen Kavaliere, die im Laufe der Geschichte in ihr Leben treten, verfällt auch Alckmar der unvergleichlichen Frau, die allerdings sämtlichen Verlockungen widersteht und fortwährend tugendhaft agiert. Auf den anschließenden Reisen übersteht sie alle Kränkungen, Intrigen und verzweifelte Situationen, die durch Diebstahl, Betrug oder Entführung ihrer Person ausgelöst werden. Schließlich findet die vielgeprüfte "Constantine" doch ein zweites eheliches Glück mit dem Mar(en)burgischen Edelmann Wandeim, der sich am Ende als würdigster Kandidat erweist.

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C) Europabegriff und -vorstellung bei Talander [Bohse]

Die Frage, welche Begrifflichkeiten und Vorstellungen der Autor mit dem zeitgenössischen "Europa" verbindet, ist nicht einfach zu beantworten, denn es findet sich in der Quelle keine Begründung, warum "Constantine" als "Europäerin" bezeichnet wird bzw. welche Züge ihrer Person das explizit "Europäische" ausmachen.
Anders als bei den meisten Reiseberichten und -romanen (vgl. Eberhard Werner Happel 1689) dieser Epoche lässt sich die Route, welche die Hauptfigur nach dem Verlassen ihrer Heimat zurücklegt, nicht exakt nachvollziehen, da einige Ortsbeschreibungen ("Anglien", "Albinien", "Burgum" etc.) lediglich in veränderter Form wiedergegeben werden. Ihre Reise beginnt - nach einem Schiffsbruch - an der Küste des Baltischen Meeres und führt sie u. a. ins Heilige Römische Reich deutscher Nation, nach Frankreich und Oberitalien, bis sie schließlich am Hof eines französischen Herzogs endet. Ihrer Herkunft nach ist "Constantine" eine deutsche Frau ("Sie weiß mit Ihren Gemuethsvollen Augen/ [...] ohne Befleckung der teutschen Tugend und Ihrer Ehre/ [...] und einer wohlanstaendigen Ernsthafftigkeit zu Waffnen/"), doch wird ihre Heimat lediglich mit dem Phantasienamen "Albi[a]nien" bezeichnet. Ihre Weggefährten und Reisebekanntschaften entstammen aber verschiedenen europäischen Ländern (Frankreich, Niederlande, Portugal usw.), wobei auf gängige Stereotypen (z. B. "der galante Franzose") weitgehend verzichtet wird.
Häufig findet sich der Hinweis, dass die "Welt=kluge Dame Constantine" auch über die augenblickliche politische Situation in Europa informiert ist. Der alte Kontinent wird bedroht durch "Barbarische Gewohnheit" und "Ausländischen Untugenden", deren Ursache der um sich greifende Atheismus ist, dessen fast schon erreichtes Ziel ein vollkommen epikureisches Welttheater sei. Der Zustand der europäischen Länder von Moskau bis Versailles sei bereits so schlecht, dass sogar "die brutaelen Tuercken/ verstockten Jueden und blinden Heyden/ die eine Aufferstehung glaeuben/ uns beschaemen".
Durch diese Verknüpfung von politischen, religiösen und moralisch-sittlichen Argumenten lässt der Schriftsteller erkennen, dass nur ein tugendhaft geführtes Leben nach christlichen Wertmaßstäben die Grundlage und das wichtigste Charakteristikum "Europas" sein kann. Die Titelheldin "Constantine" muss daher vorrangig als eine metaphorische Gestalt verstanden werden, die durch ihr tadelloses Beispiel "die noch zum Theil erbare Welt mit einer klugen Vorsichtigkeit warnen [kann]". Aufgrund ihres vollkommenen Geistes sei sie in der Lage, "alle Höhen der Welt=geschäffte [zu] übersteigen/ und denen groessesten Monarchen den Vorzug streitig [zu] machen". Deshalb wären "einige der galantesten Europaeischen Hoefe" gut beraten, ihrem Beispiel zu folgen und "ihren Ruhm/ so lange der Welt=Kreyß stehet/ biß an das Sternen=Gerüste zu erheben/ und denenselben daselbst einzu aetzen."
Der Autor orientiert sich bei seinem Vorschlag - bewusst oder unbewusst - an dem vielzitierten Schicksal der phönizischen Königstochter und Namensgeberin des "alten" Erdteils, die am Ende ihrer mythologischen Schicksalsbeschreibung als Stern zum Firmament aufsteigt. "Constantines" Beitrag zur Rettung "Europas" erhält mittels dieser Verknüpfung einen zusätzlichen Stellenwert."

(rf)

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