Carlos Martell:
Anales del mundo, desde la creacion de el y un tratado del origen de las poblaciones de toda la Europa. Compuesto por Carlos Martell, Gentilhombre Çeltibero. Dedicado al excelentissimo señor don Fernando de Gurrea, Aragon, y Borja, Duque de Villa-Hermosa, Conde de Luna, &c. Con Licencia.
En Zaragoça. Por Iuan de Ybar. Año 1662.
Zitierweise: Alexander Wilckens: Quellenautopsie "Carlos Martell (1662)", in: Europabegriffe und Europavorstellungen im 17. Jahrhundert. Web-Projekt, Wolfgang Schmale (Dir.). https://europaquellen.univie.ac.at/einzelansicht/news/carlos-martell-1662/
Schlagworte: Figur; Japhet; Spanien; Traktat; Weltherrschaft;
Fundort: ÖNB / 51.N.17
A) Kurzbiographie | B) Beschreibung der Quelle | C) Europabegriff und -vorstellung bei Martell |
[Trotz intensiver Recherche in diversen Nachschlagewerken konnten bisher keine biographischen Daten zur Person von Carlos Martell ermittelt werden. Weitere Werke des Verfassers sind nicht bekannt.]
Martells Werk ist ein großangelegtes Traktat über die Weltgeschichte seit der Schöpfung und über den Ursprung der Bevölkerung Europas. Wie aber der Titel auf Seite 1 ("Anales del mundo. Historia especial de las cosas de España, y de la ciudad de Çaragoça. Desde la Creacion hasta Christo Señor nuestro") besagt, wird die Weltgeschichte unter besonderer Berücksichtigung der Geschichte Spaniens ab der Genesis und bis zur Geburt Christi erzählt, wobei die Zeitrechnung vom Jahr 1 (Schöpfung) bis zum Jahr 4052 (Christi Geburt) erfolgt. Die Abhandlung erstreckt sich auf 444 Seiten, die in zwei Spalten gesetzt sind. Auf das mit großen Lettern gestaltete Titelblatt und das zweifache Imprimatur folgt eine Widmung an seine Exzellenz Herrn "Fernando de Gvrrea, Aragon, y Borja, Duque de Villa-Hermosa, Conde de Luna, y Ficallo, etc". Danach schließt sich ein Inhaltsverzeichnis ("Suma de los libros y capitulos de este tomo") an. Am Ende des Werkes befindet sich ein nicht nummeriertes 23 Seiten langes Register ("elenco"). Die Abhandlung ist in 6 Bücher unterteilt, "gemäss den sechs Zeitaltern", in welche Martell die frühe Weltgeschichte ordnet. So wird im ersten Buch von Adam und Eva bis zur Sintflut berichtet; im zweiten von Noah bis Abraham; im dritten von Abraham bis Moses; im vierten von Moses bis David; dann von David bis zum Ende der babylonischen Gefangenschaft, und schließlich vom Anfang des persischen Reiches bis zur Geburt Christi in Bethlehem. Die einzelnen Bücher sind wiederum in Kapitel und Jahre unterteilt, wobei letztere auf jeder Seite in der Kopfzeile eingetragen sind, so dass man die Begebenheiten nach den seit der Schöpfung vergangenen Jahren ("Jahre der Welt"), nach den Jahren seit Anfang des entsprechenden Buches, manchmal auch nach den Jahren der Geschichte in Spanien und schließlich nach der Anzahl der fehlenden Jahre bis zur Geburt Christi verzeichnet findet.
Weltgeschichte bedeutet bei Martell Schöpfungs- bzw. biblische Geschichte, die mit den Kommentaren der großen christlichen Denker und Kirchenväter sowie der spanischen Gelehrten und mit seinen eigenen Überlegungen angereichert wird. Zugleich wird sie in die Geschichte der Antike, unter besonderer Berücksichtigung der griechischen und römischen Geschichte und Geschichtsschreibung, integriert. Die Geschichte der Griechen und Römer vom Trojanischen Krieg bis zu Augustus ist hier mit dem Alten Testament korreliert. Das gibt den Rahmen und den Leitpfad für die Darstellung einer Geschichte Spaniens, in der besonders die Königreiche Aragón und Kastilien zur Geltung kommen. Dabei wird die frühneuzeitliche Stellung Spaniens in die Antike projiziert. Die Beschreibungen sind mit zahlreichen, zum Teil erfundenen Details sowie regelrechten Irrtümern und Übertreibungen ausgeschmückt (z. B. seien es Spanier gewesen, die schon vor Romulus die Stadt Rom gebaut und bewohnt hätten!), die dazu dienen, die besondere Rolle Spaniens in der Weltgeschichte hervorzuheben. Spanien ist für Martell nicht nur die zuerst entstandene Monarchie der Welt, sondern auch der Ort, wo man die besten zivilisatorischen Aspekte der Welt finde, die vom rechten Glauben bis hin zu den Wissenschaften reichen (z. B. Spanien sei Meister der guten Wissenschaften und Erfinder der Medizin, und Strabo zitierend meint Martell, die alte Verwendung der Schrift habe in Spanien 700 Jahre früher als in Frankreich begonnen!).
Die spanischen Könige, die immer an erster Stelle Gottes Gebote befolgt und die Sache des katholischen Glaubens und der Ehre und Seligkeit Gottes vorangetrieben haben, die sich zudem immer selbst eher als Vizekönige Gottes ("Vissoreyes de Dios") auf Erden verstanden haben, hätten schon, bevor Karl der Große zum Allerchristlichsten Herrscher ernannt worden sei, den Titel "Katholische Könige" erhalten. Der in diesem Titel enthaltene Universalismus deutet klar auf die Bedeutung und Stellung in der Welt, die Martell den spanischen Königen seit dem Anfang der Geschichte beimisst. Dem trägt Martell Rechnung, indem er bis zur Geburt Christi die Begebenheiten aufder iberischen Halbinsel - und speziell seiner Stadt Zaragoza - parallel und in Wechselbeziehung zur allgemeinen Entwicklung darstellt.
C) Europabegriff und -vorstellung bei Martell
Wie schon der Titel verspricht, wird im Werk auf den Ursprung aller Völker in Europa eingegangen. Nachdem der Verfasser über die Schöpfung der Welt und die Nachkommen Adam und Evas, sowie deren Vernichtung durch die Sintflut berichtet hat, setzt Martell bei den Nachkommen Noahs ein, um über den Ursprung der Völker der ganzen Welt zu erzählen. So erwähnt er im ersten Kapitel des zweiten Buches alle Kinder von Sem, Ham ("Cham") und Japhet und das Datum Ihrer Geburt. Bei der Aufzählung vergisst Martell Tubal nicht, Japhets fünften Sohn, der Gründer und Prinz von Spanien genannt wird. Im Jahre 15 des zweiten Zeitalters soll die Kunst des Weinbaues eingesetzt haben. Kurze Zeit danach ereignete sich die bekannte, von Martell wiedererzählte Geschichte, in welcher Noah seinen Fluch auf Canaan, Hams Sohn, aussprach und seinen Söhnen Sem und Japhet den Segen erteilte, der sie zu Herren über Canaan und die Welt machte. Man solle zugunsten Spaniens, Nachkomme Japhets, den Tenor dieses Segens beachten, meint hierzu Martell, da es ein Vorzeichen für die Ausdehnung der spanischen Monarchie sei. Die Ausdehnung selbst sei ein Segen des Himmels gewesen, weil sie "Indien" (Amerika) und andere Provinzen erlangt, behauptet und den Glauben dort gepflanzt habe. Als Belohnung für ihren Glauben habe sie jetzt Rechte über die Ländereien Sems, Großvater der Hebräer, "in Ermangelung des göttlichen Glaubens, den diese verachteten".
Daraufhin habe Noah die Erde unter seinen drei Söhnen verteilt. Sem bekam Asien, Ham Afrika und Japhet Europa und Kleinasien. Von Japhet und seinen sieben Söhnen stammen dann die verschiedenen Völker Europas ab, die im Text alle aufgezählt werden. Durch Kontrastierung der verschiedenen Überlieferungen und Kommentare gelangt Martell zu dem Schluss, dass alle modernen Völker Europas - nicht nur Italiener und Franzosen, sondern auch die der Deutschen Nation, zu der Martell "Vngria, Polonia, Boemia, Escocia, Inglaterra, Decia, Suecia, Nurbega, y las Provincias de Sicia, Alania, Messia, Saxonia, Micina, Franconia, Lotoringia, Austria, Suevia, Brabante, Zelanda, Holanda, Frisia, y Irbenia" zählt - von Spanien abstammen.
Um "ein wahres und leichtes Verständnis dieser allgemeinen Verteilung des Erdglobus, die Noah unter seinen drei Söhnen gemacht hat" zu erlangen, wird im Werk auch eine Beschreibung der Welt gegeben. Nach allgemeinen Aussagen zur Geographie des Globus erklärt Martell: "Die Welt, und die ganze Erde, teilte sich im Altertum in drei Teile, Asien, Europa, und Afrika, in den gegenwärtigen Zeiten kommt ein vierter Teil hinzu, welcher Amerika, oder Indien, ist, wenn wir sie nicht auf Europa, und Japhets Erbe, reduzieren, weil die Kinder dieses Patriarchen sie in der Antike bevölkert, und in unseren Jahrhunderten entdeckt und erobert haben". Zuerst wird Afrika mit seinen verschiedenen Königreichen kurz beschrieben, wobei Martell anmerkt, dass Afrika kleiner als Europa sei und ein großer Teil des Kontinents, wegen der vielen Wüsten und unwegsamen Berge, untauglich zum Wohnen und für die Kultur sei. Europa selbst wird geographisch sehr flüchtig beschrieben. An sämtlichen Ufern des Mittelmeeres (dessen mythologischen Ursprung er zuvor erzählt) stehe es Afrika gegenüber und erfreue sich ansehnlicher, bevölkerter und fruchtbarer Inseln wie Mallorca, Menorca, Sardinien, Sizilien, Korsika, Malta, Candia und Rhodos. Von hier aus zeichne es eine Linie zum Pontos, zur "Laguna Meotis" und bis zum Fluss "Tamais"(sic!). Im Norden habe es das britische Meer und westlich den Atlantischen Ozean.
Anschließend folgt die Beschreibung Europas als Figur. Europa passe man die Figur einer in Galaanzug bekleideten und prunkvoll geschmückten Dame an. Die "Provinz Spanien" bilde den Kopf, Frankreich die Brust, "Prouença, del Finado, y Saboya" (sic!) die rechte Schulter. Die linke Schulter werde von Britannien und Belgien gebildet und der Leib von Germanien, das nach Martell folgende Länder umfasst: "Flandes, Brauante, Hanonia, Frigia, Austria, Boemia, Grecia, Sueuia, Moldauia, Moscobia, Transiluania, Saxonia, Polonia, Seruia, Albania, Macedonia, hasta Constantinopla" (sic!). Der rechte Arm sei Italien mit den Inseln des Mittelmeeres; der linke Arm sei England und seine umgebenden Inseln. Am linken Fuß finde man Norwegen, Schweden und "Gozia" (sic!); am rechten"Gazaria, Cumania" und das Schwarze Meer. Gegen Süden habe Europa Slawonien, das Schwarze Meer und "Natolia" (Anatolien). Gegen Norden sei der Fluss "Tenais" (sic!) und die Provinz "Etrusia", und im Westen Friesland und Schottland. Zum nördlichen Teil "fährt man mit dem Schiff über den Baltikum und legt man an in Dänemark" (sic!).
Nach dieser konzisen Beschreibung der Dame Europa folgt eine Aufzählung der wichtigsten Städte des Kontinents, in der die geographische Verwirrung des Autors klar zum Vorschein kommt (Wien liegt z. B. in Frankreich!). Diese Verwirrung tritt noch deutlicher in der Beschreibung des amerikanischen Kontinents zu Tage, die nach einer knappen Schilderung der Verhältnisse in Asien folgt.
Sowohl die Erklärungen zur Herkunft der Spanier und der anderen europäischen Völker, wie auch die Beschreibung Europas als Figur dienen dem Verfasser dazu, die herausragende Rolle Spaniens zu betonen. So versteht Martell Spanien als Ursprung und Haupt Europas ("principio y Cabeça de Europa" [sic!]). Das mag Frankreich mit Neid lesen, Italien missfallen, Deutschland als verwegene Tat einschätzen usw., aber alle Einsprüche "werden nicht genug sein, um die Wahrheit zu verbergen, dass die Vernunft dem Neid weichen müsse, oder ich meinem Vaterland dieser Würde beraube", sagt der stolze Autor. Für ihn ist die Monarchie die beste, gottgewollte Regierungsform. Die Monarchie in Spanien sei schon von Tubal und noch vor der Gründung des babylonischen Reiches und dem Bau des Babelturmes gegründet worden, was die spanische Monarchie zur ersten in der Geschichte macht. Während in Babel Krieg gegen Gott geführt wurde, führte Spanien Krieg gegen den Teufel und die Laster. Der rechte Glaube und die Tugend seines Volkes und seiner Könige haben Spanien, das auch geographisch und ressourcenmäßig das erste Land in Europa ist, in seiner hegemonialen Stellung bekräftigt. So ist es auch verständlich, dass Spanien, als Träger der von Japhet herstammenden Bestimmung zur Weltherrschaft, die primären Rechte auf Amerika hat, dort Fuß fasste und den wahren Glauben einführte. Die Legitimität der spanischen Könige zur Weltherrschaft wird noch durch eine Ahnentafel des Hauses Habsburg hervorgehoben, die eine kontinuierliche Linie von Osiris, dem 6. König Spaniens, bis zu Phillip IV. nachweist.
(aw)