Eberhard Rudolph Roth [1688]

Memorabilia Europæ,
Oder denckwuerdige Sachen/ Welche Ein Reisender in den fuernehmsten Staedten Europæ heutiges Tages zu observiren und in Acht zu nehmen hat.
Nunmehro aber/ zum sechsten mahl/ An vielen Orten Vermehret und verbessert.
Ulm/ Druckts und verlegts Matthaeus Wagner. 1688.

Zitierweise: Rolf Felbinger: Quellenautopsie "Eberhard Rudolph Roth (1688)", in: Europabegriffe und Europavorstellungen im 17. Jahrhundert. Web-Projekt, Wolfgang Schmale (Dir.).
https://europaquellen.univie.ac.at/einzelansicht/news/eberhard-rudolph-roth-1688/

Schlagworte: Erdteil; Grenze; Reiseführer; Städteverzeichnis;

Fundort: BSB / Eur. 669

A) KurzbiographieB) Beschreibung der Quelle C) Europabegriff und -vorstellung bei Roth

 

A) Kurzbiographie

Eberhard Rudolph Roth wurde am 15. November 1646 als Sohn des Stadtpfarrers Rudolph Roth in Bissingen geboren. Nach der Lateinschule studierte er ab 1664 in Jena, wo er 1665 oder 1669 den Magistergrad erlangte und im Jahr 1673 zum Amtsgehilfen ("Adjunctus") der philosophischen Fakultät ernannt wurde. Während seines Aufenthaltes in Jena arbeitete er darüber hinaus als Hauslehrer, um seine finanzielle Situation aufzubessern. Ein Jahr später wechselte er als Professor der Geschichte an das Ulmer Gymnasium, wo er außerdem den Posten des Konrektors bekleidete.
In den folgenden Jahren erhielt er Ernennungen zum "Professor philosophiae moralis" (1675) und "Professor logices" (1690), bis er schließlich 1691 den Rektorposten übernahm. Seine insgesamt 42 nachweisbaren Werke, die im Zeitraum zwischen 1668 und 1714 in deutscher und lateinischer Sprache veröffentlicht wurden, belegen seine umfangreichen Kenntnisse auf dem Gebiet der Philosophie, Geographie und antiken Geschichte. Sein bekanntestes Werk bildeten die unter dem Titel "Memorabilia Europæ" publizierten Reise- und Städteführer, die zwischen 1678 und 1749 insgesamt 17 Auflagen erreichten.
Eberhard Rudolph Roth starb am 14. November 1715 als angesehener Bürger in Ulm.

 

Literatur:

  • Deutsches Biographisches Archiv, Alte Folge, Mikrofiches-Edition, MF 1058.
  • Hirsching, Friedrich Carl Gottlob: Historisch=litterarisches Handbuch berühmter und denkwürdiger Personen, welche in dem 18. Jahrhunderte gelebt haben, Bd. 10,1, Leipzig 1807. S. 190-191.
  • Weyermann, Albrecht (Hrsg.): Nachrichten von Gelehrten, Künstlern und andern merkwürdigen Personen aus Ulm, Bd. 1, Ulm 1798. S. 448-450

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B) Beschreibung der Quelle

Roths "Memorabilia Europæ" erweist sich als Städte- und Reiseführer und beinhaltet neben Frontispiz und Titelblatt eine knappe Vorrede sowie ein mehr als 400 Seiten umfassendes Ortsverzeichnis, das überwiegend alphabetisch (Abensperg - Zwickau) angeordnet wurde. Das praktische Taschenformat, die schlichte Druckausführung und der einfache inhaltliche Aufbau des Duodezbändchens verweisen auf den Gebrauchscharakter der Schrift, die im übrigen ohne Verfasserangabe herausgegeben wurde. Für die Quellenautopsie wird auf die sechste überarbeitete Auflage aus dem Jahr 1688, die zehn Jahre nach der ersten Ausgabe auf den Markt kam, zurückgegriffen, weil an den Bibliotheken in München und Wien frühere Bestandsexemplare entweder nicht vorhanden oder nicht mehr benutzbar sind.
Das gestochene Frontispiz zeigt in seiner unteren Bildhälfte fünf reisende Herren, die sich in einer idyllischen Landschaft ausruhen und dabei mit ihren ausgestreckten Armen auf eine befestigte städtische Anlage verweisen, die im Hintergrund durch eine Bergkette gesäumt wird. Im Gegensatz zu dieser geschlossenen Anordnung legt die obere Bildhälfte ihren Schwerpunkt auf einen leicht belaubten Baumwipfel, der sich im malerisch Wind wiegt. Abgerundet wird die Komposition durch einige bewegte Wolken und den Lichteinfall der sinkenden Sonne, der den Horizont perspektivische Tiefe verleiht und beim Betrachter sicherlich Reiselust wecken soll. Der Kupferstich trägt die Signatur "M. Haffner sc[ulpsit]".
Die Vorrede, die vom Verfasser als eine Anleitung "wie man recht nuetzlich reisen solle" verstanden werden will, beginnt mit einer überwiegend negativen Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Situation: "Es ist das Reisen ein sehr nutzliches Ding/ und kann einem Menschen in vielen Sachen befoerderlich seyn. Aber viel bringen ihre Reise schaendlich zu/ und waere besser gewesen/ sie waeren daheim verblieben. Dann es sind ihrer gar viel/ welche nur deswegen in fremde Laender ziehen/ damit sie fremde Laster/ allerhand neue Gattungen von Kleidern/ und zum oeffteren naerrische und abentheurliche Gebaerden mit sich heimbringen/ und von nichts anders/ als von fremden Dingen schwaetzen. Andere/ wann sie in eine fremde Stadt kommen/ sehen sie nur die Mauren/ Haeuser und Gebaeue an/ vermeynende/ sie haetten die Raeiß trefflich wol angeleget/ wann sie von dergleichen ein langes Dicentes vermachen koennen. Andere werden in der Fremde zu lauter Atheisten/ und scheuen sich vor keiner Suenden mehr. Aber so soll es nicht seyn." Im Anschluss folgen vielerlei Besichtigungsanweisungen, Verhaltensmaßregeln, Ratschläge und Warnungen, die Roth seinen Lesern mit Nachdruck ans Herz legt. Der Reisende soll vor allem nie vergessen, dass "fast ein jedes Volck seine Laster und Untugenden [hat]/ so/ dass einer leichtlich kann dadurch inficirt und angestecket werden. Wer nun nicht mit Tugenden außstaffiret ist/ der thaete besser/ er liesse das Reisen unterwegen/ dann auß solchem Menschen wird gewisslich ein Atheist und Epicurer werden."
Das Ortsverzeichnis schließt sich unmittelbar an diese Ausführungen an. Es umfasst in erster Linie Städtebeschreibungen, doch werden vereinzelt auch Informationen zu Ländern, Provinzen und Gewässern angeboten. Aufgelockert werden die standardisiert wirkenden Texte lediglich durch zehn eingefügte Karten, die aber nur einen geringen geographischen Orientierungsgehalt besitzen. Weitere Illustrationen sind in Roths Buch nicht enthalten.

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C) Europabegriff und -vorstellung bei Roth

Der Begriff "Europa" wird vom Autor nicht definiert, doch lassen der Gebrauch des Terminus in Verbindung mit einzelnen Städtebeschreibungen sowie die geographische Lage und Dichte der aufgeführten Städte einige Rückschlüsse auf Roths Vorstellungen zu:

"Chartres.
Fast die aelteste Stadt in Europa, weil sie kurtz nach der Suendfluth erbauet worden. Ligt in Franckreich/ und ist ein Bischofflicher Sitz allda/ hat einen sehr fruchtbaren Boden/ daher sie auch der Stadt Pariß Korn=Scheur genannt wird. Ein halbe Frantzoesische Meil vor der Stadt ist der Garten deß Hn. de Cantelon, welcher wegen seiner Lustbarkeit durch gantz Franckreich beruehmt ist/ und unter die Wunderwerck der Welt gezaehlet werden kann."
[...]
"Gent.
Wird fuer die groesseste Stadt in gantz Europa gehalten/ darinnen ueber die 36000. Haeuser gezehlet werden/ und von welcher Philippus Koenig von Hispanien hat pflegen zu sagen/ dass er einen Handschuh habe/ in welchen er die Stadt Pariß stecken koenne: Sie ligt gar wol/ und kommen 4. schiffreiche Wasser in dieselbe/ und hat noch ueber das einen grossen Canal oder Graben/ bey dessen Außfluss die freffliche Schantz das Gentische Jas oder Saß liegt. ..."

Er thematisiert in sehr unterschiedlichem Ausmaß Orte in Portugal ("Lisabona"), Spanien ("Madrit"), Frankreich ("Pariß"), England ("Dover"), Schottland ("Edinburg"), Irland ("Dublin"), Norwegen ("Bergen"), Schweden ("Stockholm"), Dänemark ("Coppenhagen"), Luxemburg ("Arlon"), den Spanischen ("Antwerpen") und Vereinigten Niederlanden ("Amsterdam"), Österreich ("Crembs") bzw. dem Deutschen Reich ("Nuernberg"), der Schweiz ("Bern"), Italien ("Rom"), Ungarn ("Caschau"), Polen ("Crakau"), Litauen ("Vilna"), "Moscow" bzw. "Reussenland" ("Lemberg") und dem Osmanischen Reich ("Constantinopel"). Dabei fällt auf, dass der Schwerpunkt der Sammlung klar auf deutschen Städten sowie Niederlassungen in Frankreich, Italien, der Schweiz sowie den beiden Niederlanden und somit auf "typischen" Stationen von Kavalierstouren liegt. Darüber hinaus zeigt sich, dass sowohl Umfang, als auch Qualität der Ausführungen mit zunehmender Entfernung der Städte von der süddeutschen Reichsstadt Ulm, der Wohn- und Wirkungsstätte Roths, deutlich absinken. Auch die zehn eingefügten Karten, die auf den Vorderseiten "Schwabenland, Schweitzerland, Niederland, Bodensee, Bayerland, Franckreich, Boehmen, Ungerland, Italien und Oesterreich" zeigen und auf den Rückseiten zusätzliche Informationen bieten, fügen sich in dieses Schema ein. Das lässt den Schluss zu, dass Roth nur in wenigen Fällen auf eigene Erfahrungswerte zurückgegriffen und sonst lediglich tradiertes Material (biblische Überlieferungen, lexikalische Werke, ältere Reiseberichte etc.) zu den einzelnen Städten zusammengetragen hat.
Aufgrund der einzigartigen Bedeutung Konstantinopels als Schnittstelle zwischen Asien und Europa und der Aktualität des Türkenkrieges fällt die Beschreibung in diesem Fall besonders ausführlich und auch recht emotional aus:

"Constantinopel.
Diese war vor Zeiten das Großmaechtigste Haupt des Morgenlaendischen/ eine Schwester aber und Nachahmerin des Abendllaendischen Kaeyserthums: Ein starckes Band Asien und Europens: Ihre Waffenseelige Macht/ Siegprangender Ruhm/ und Kayserliche Gewalt war allen andern Staedten/ ausgenommen Rom/ ueberlegen. ... Es wuerde keiner irren/ wann er diese Stadt einen Schluessel deß Erdkreisses / den Mittelpunct aller Reiche/ und dz. (!) Herz der Erdtheile [Asien und Europa; Anm. d. Verf.] nenen wuerde; sie/ als welche allein wuerdig/ .../ den Kaeisern / wiederum einen Thron auf[zu]richten/ allen denen Herrschafften eine unueberwindl. Festung [zu] seyn/ den Religionen ein sichern Sitz auß[zu]breiten/ den Wissenschaften statt eines festen Schlosses [zu] dienen/ denen heilsamen Gesetzen einen weit ausgebreiteten Strohm auß[zu]giessen/ und beedes zu See als zu Lande einen hoechstbequemen Hafen/ zur Außbreitung Christlichen Namens hohen Ruhms/ einstmahl wiederum [zu] eroeffnen moechte. Aber ach! Wie tieff ist sie herab gefallen! ..."

Lediglich an dieser Stelle wird "Europa" als Kontinent und Konstantinopel als dessen "Herz" und "Grenze" zu Asien bezeichnet. Die geographische Grenzziehung im Südosten "Europas" verläuft identisch mit der heute üblichen Grenze entlang dem Bosporus und dem Schwarzen Meer. Kein Äquivalent findet sich aber in Bezug auf Russland und dem weiteren, nördlichen Grenzverlauf zwischen Asien und Europa. Die wenigen russischen Städte, die der Autor in sein Buch aufnimmt, zählt er einheitlich zu "Europa". Der Ural als Grenze zwischen den beiden Erdteilen findet bei Roth noch keine Erwähnung.

(rf)

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