Eberhard Werner Happel [1692]

Everh. Gu. Happelii
Historia Moderna Europae, Oder eine Historische Beschreibung Deß Heutigen Europae:
Welche zum Anfang und Fundament hat den Münsterischen Frieden=Schluß/ und von dar an fortfähret/ Unpartheyisch zu beschreiben/ dieses Letztere Semi Seculum Mirabile, das ist/ die Jüngste mehr als Vierzig=Jährige Wunderbare zeit/ fürnemlich was kurtz vor und unter der Glorwürdigsten Regierung deß Aller=Durchleuchtigsten/ Großmächtigst= und Unüberwindlichsten Römischen Käysers/ Leopold I. Von Jahren zu Jahren denck=würdiges in Spanien/ Portugall/ Italien/ Franckreich/ Engelland/ Niederland/ Schweitz/ Teutschland/ Dännemarck/ Norwegen/ Schweden/ Moscau/ Pohlen/ Preussen/ Tartarien/ Böhmen/ Ungarn/ Griechenland/ Türckey/ und sonsten in Europa, auch weiter ausser dessen in Asia, Africa und America, zu Wasser und Land fürgefallen/ an schweren Kriegen/ blutigen See=und Feld=Schlachten/ Belagerungen/ Bestürmungen/ Eroberungen/ Verwüstungen/ Verfolgungen/ Aufruhren/ allerhand Veränderungen/ und vielen andern Merckwürdigen Sachen/ dergestalt eingerichtet/ und auß den Glaub=würdigsten Scribenten unserer Zeiten zusammen getragen/ dass die geringere Sachen kürtzlich/ die Wichtigere aber Umständlich beschrieben werden/ damit in Jenen die Weitläufftigkeit keinen Verdruß/ und in diesen die Kürtze keine Tunckelheit bey dem Leser verursache.
Mit schönen Conterfaiten und andern Kupffern durchgehends gezieret.
Ulm/ druckts und verlegts Matthäus Wagner/ Anno 1692

Zitierweise: Josef Köstlbauer: Quellenautopsie "Eberhard Werner Happel (1692)", in: Europabegriffe und Europavorstellungen im 17. Jahrhundert. Web-Projekt, Wolfgang Schmale (Dir.).
https://europaquellen.univie.ac.at/einzelansicht/news/eberhard-werner-happel-1692/

Schlagworte: Allegorie; Chronik; Geschichtsschreibung; Heiliges Römisches Reich; Leopold I.; Mächtesystem; Weltteil; Westfälischer Friede;

Fundort: ÖNB / 47.KK.56

A) KurzbiographieB) Beschreibung der Quelle C) Europabegriff und -vorstellung bei Happel

A) Kurzbiographie

Eberhard Werner Happel wurde am 12. August 1647 als Sohn eines lutherisch reformierten Pfarrers im hessischen Kirchhain geboren. Er studierte zwischen 1666 und 1669 in Marburg und Gießen Rechte und Naturwissenschaften, doch zwang ihn seine unzulängliche finanzielle Lage immer wieder, sich bei verschiedenen Familien in Hessen und Hamburg als Hofmeister und Hauslehrer zu betätigen. Ohne akademischem Titel blieb ihm ein Hofamt versagt, so dass er sich 1680 entschloss, eine literarische Karriere als freier Schriftsteller einzuschlagen. Bereits 1666 hatte er damit begonnen, Romane zu schreiben, doch erst in seinem letzten Lebensjahrzehnt fertigte er Jahr für Jahr etwa ein- bis zweitausend Seiten schöngeistiger Literatur im zeitgenössischen Stil an.
Neben geographisch-historischen Relationen und Kompilationen dominieren in seinem Werk spätbarocke Geschichtsromane, in denen er galante Liebes- und Heldengeschichten mit zeitbezogenen Fakten, Theorien und Vermutungen verknüpfte. In diesem Zusammenhang ist der Zyklus "Europäische Geschicht-Romane" hervorzuheben, der zwischen 1685 und 1694/1710 vom Ulmer Druckhaus Matthäus Wagner publiziert wurde und bisher kaum Beachtung in der Forschung fand. Nachhaltige Bedeutung bewies schließlich vor allem sein historisches und realienkundliches Kompendium "Relationes Curiosae", das in mehreren Bänden zwischen 1683 und 1691 veröffentlicht wurde und einen gewissen Einfluss auf die Lexikographie des 18. Jahrhunderts ausübte.
Happel hielt sich bei seiner Unterhaltungsliteratur fast ausschließlich an das vorgegebene Gerüst des traditionellen Heldenromans, doch scheinen die abenteuerlichen Irrfahrten und überraschenden Fügungen des Schicksals oft recht nachlässig konzipiert worden zu sein. Trotz dieses Mangels müssen Happels Romane von einem treuen Publikum eifrig gelesen worden sein, da sie partiell in mehreren Auflagen existieren. Der Schriftsteller und Historiker starb am 15. Mai 1690 in Hamburg und hinterließ seine Ehefrau Margaretha und vier Kinder.

 

Literatur:

  • Deutsche Biographische Enzyklopädie, Bd. 4, S. 379.
  • Neue Deutsche Biographie, Bd. 7, S. 644 f.
  • Lock, Gerhard: Der höfisch-galante Roman des 17. Jahrhunderts bei Eberhard Werner Happel. Würzburg 1939.
  • Schuwirth, Theo: Eberhard Werner Happel (1647-1690), ein Beitrag zur deutschen Literaturgeschichte des 17. Jahrhunderts. Diss. Marburg 1908.

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B) Beschreibung der Quelle

Die "Historia Moderna Europae" ist die letzte Arbeit des Hamburger Literaten und Historikers Eberhard Werner Happel. Sie wurde im Jahr 1692 in Ulm, im Verlag Matthäus Wagner publiziert. Wie der Herausgeber in seiner Widmung ausführt, verschied der Autor kurz bevor diese "seine beste Arbeit" in Druck ging. Happel verstarb 1690, die erste Ausgabe der "Historia Moderna" erschien im Jahr darauf. Dieser Quellenanalyse liegt die Ausgabe von 1692 zugrunde, die in mehreren Exemplaren erhalten ist.
Formal gliedert sich die aufwendig aufgemachte Quelle in ein schlichtes vorangestelltes Titelkupfer, gefolgt von einem gestochenen Frontispiz, der eigentlichen Titelseite, einer an das Kaiserpaar (Leopold I. und Eleonora Magdalena Theresia) gerichteten Widmung, einer Vorrede an den "unpartheyischen Leser", einem Katalog der übrigen vom Autor verfassten Werke, einem mit "Register" betitelten Inhaltsverzeichnis, dem eigentlichen Hauptteil sowie einem alphabetisch geordneten Register.
Das Frontispiz zeigt in zentraler Position Merkur und eine Muse, die wohl die Geschichte bzw. Geschichtsschreibung verkörpert. Der Götterbote weist auf ein Gemälde, auf dem das klassisch-antike Motiv der Europa auf dem Rücken des Stiers zu sehen ist. Über der Europa schwebt ein mit Schwert und Blitzen bewehrter Adler - einerseits eine Duplikation der Zeus/Jupiter-Symbolik, andererseits ist der Adler als imperiales Symbol auch ein Hinweis auf die Verbundenheit von Europa und dem Heiligen Römischen Reich. In der Hand der Muse liegt ein aufgeschlagenes Buch, das sich als die "Historia Moderna Europae" entpuppt. Verschiedene Inschriften wiederholen schließlich Informationen des Titelkupfers (Verleger, Verlagsort, Hinweis auf Abbildungen im Buchinneren etc.)
In der Widmung rühmt der Herausgeber den kaiserlichen Majestäten die Bedeutung der Geschichtsschreibung, die seit den Tagen Homers den Ruhm der Mächtigen verewigt und am Leben erhält. ("Gewiß/ alle diese grosse Leute hätten ihrer ungemeinen Tugend sich wenig zu erfreuen gehabt/ wann sie nicht der Nachruhm verewiget; Dann sie wären wie ein Irr=Licht für einer neuen Sonnen erblasset/ und wie ein schneller Blitz/ auf den kein Donner folget/ im ersten Augenblick vergessen worden.") In der darauf folgenden, wesentlich umfangreicheren "Voransprache" an den "unpartheyischen Leser" führt der Herausgeber dieses Thema noch breiter aus. Eindringlich schildert er, welchen großen Stellenwert die Historiographie für die Fürsten und ihre Hofleute, insbesondere für die Erziehung der aristokratischen Jugend, aber auch für die "Mittel=Standes=Personen", ja sogar für den "Bauren=Stand" besitzt. Der Verleger schließt mit einer Lobpreisung des verstorbenen Happel, den er den "besten Geschicht=Schreiber dieser Erden" nennt, und des vorliegenden Werkes, das als unbedingte Krönung von Happels Lebenswerk präsentiert wird ("Unter allen seinen Wercken aber ist diese historische Beschreibung deß heutigen Europae wol die Allervornehmste"). Außerdem kündigt er einen Folgeband an, der den Zeitraum ab 1672 behandeln soll. Zu einer Realisierung dieses Projektes kam es jedoch erst 1722 im Hamburger Verlag der Erbengemeinschaft Wiering.
Der Hauptteil des Werkes umfasst 968 durchgehend nummerierte Seiten und ist in 23 Bücher geteilt, wobei jedes ein Jahr der Periode zwischen 1649 und 1671 abdeckt. Damit der Leser nicht "irre gemacht werde" beginnt Happel mit einer Zusammenfassung der Geschichte jeden europäischen Staates von der Antike bis zum 1648sten Jahr. Um dem Leser "also die rechte Kette in die Hand [zu] geben/ womit er die Neue Geschichte mit der Alten gebührlich verknüpffen kan." Dazu kommt ein vollständiger Abdruck der im Frieden von Münster (Westfälischer Friede) geschlossenen Verträge. Sowohl in dieser Einführung, als auch in den nachfolgenden Beschreibungen widmet sich der Verfasser in erster Linie politischen und militärischen Ereignissen. Der Text wird durch zahlreiche Stiche ergänzt, die Schlachten, Belagerungen, Krönungsfeiern, Bankette und ähnliches zeigen. Ebenso fehlen Karten und Porträts bedeutender Persönlichkeiten nicht, unter anderem ist auch ein Porträt des Autors selbst vorhanden.
Die "Historia Moderna Europae" ist ganz eindeutig der im 17. Jahrhundert sehr verbreiteten Gattung der Chronik zuzuordnen. Happel zeichnete neben seinen zahlreichen "Europäischen Geschicht-Romanen" für einige mehrbändige Chroniken verantwortlich. Sie wurden zum Teil lange nach seinem Tod weitergeführt und neu aufgelegt. Das vorliegenden Werk ist vor allem durch seine qualitätsvolle Aufmachung bemerkenswert.

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C) Europabegriff und -vorstellung bei Happel

Reflexionen oder Ausführungen zum Begriff "Europa" fehlen völlig und so kann nur implizit auf die zugrunde liegende Europavorstellung geschlossen werden. Allerdings gibt die Liste der in dieser Quelle behandelten Länder und Reiche eine brauchbare Vorstellung davon, welche formal-geographische Ausdehnung das Europa des Verfassers hat. Es umfasst im Wesentlichen alle christlichen Länder inklusive Russland sowie das Osmanische Reich. Gerade der Einschluss des Osmanischen Reiches ergibt aber ein Europabild, das nicht in der Religion begründet ist, sondern durch die Konkurrenz der Staaten bestimmt wird. Das einigende Element in Happels Europabild sind daher gerade seine Konflikte und Schismen.
Eine für die Europa-Ikonographie interessante Darstellung findet sich auf den in der Quelle enthaltenen zwei Hemisphärenkarten. In den Ecken der Karten sind nach üblicher Manier Personifikationen der Weltteile (Erdteilallegorien) oder bestimmter Bevölkerungsgruppen, teilweise in Verbindung mit als exemplarisch angesehenen Tieren, abgebildet. So ist zum Beispiel eine Inderin mit Elefant oder ein Russe mit Bär zu sehen. Die Darstellung eines nordamerikanischen Indianers ist unzweifelhaft von den Kupferstichen Theodors de Brys zum Virginia-Bericht des Thomas Harriot inspiriert. Europa aber wird als "Europa Regina" präsentiert, an deren Seite der kaiserliche Adler seine Schwingen ausbreitet. Der Adler, die Kaiserkrone und das mit Hermelin besetzte Staatskleid dieser Europa sind ein klarer Hinweis auf die enge Verbindung, die in den Augen des Künstlers zwischen dem Kaisertum und Europa besteht. Außerdem suggeriert diese herrschaftliche Darstellung der Europa (im Gegensatz zu dem eher pittoresken Aussehen der Personifikationen der übrigen Kontinente) durchaus eine hierarchische Ordnung der Weltteile, in der Europa an der Spitze steht.

(A:rf; B/C:jk)

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