Jacob Christian Breitenfels [1688]

Das Theils Friedbeglueckte/ Theils Kriegende und Siegende Europa,
Oder Fernere kurtze/ jedoch gruendliche/ Historische Erzehlung Aller Kriegs= und anderer denckwuerdiger Begebenheiten/ welche von Anno 1679. bis 1688. in gantz Europa vorgelauffen. Zu des Teutschen Sleidani Continuation seiner vier Monarchien Unpartheyisch entworffen Durch Christoff Jacob Breitenfels.
Mit Churfuerstl. Saechs. Gnaedigstem Privilegio.
Franckfurt und Leipzig/ Bey Johann Theodor Boetio/ Buchhaendlern in Dreßden/ An. 1688.

Zitierweise: Rolf Felbinger: Quellenautopsie "Jacob Christian Breitenfels (1688)", in: Europabegriffe und Europavorstellungen im 17. Jahrhundert. Web-Projekt, Wolfgang Schmale (Dir.).
https://europaquellen.univie.ac.at/einzelansicht/news/jacob-christian-breitenfels-1688/

Schlagworte: Christenheit; Chronik; Geschichtsschreibung; Königin; Weltteil;

Fundort: BSB / Eur. 113

A) KurzbiographieB) Beschreibung der Quelle C) Europabegriff und -vorstellung bei Breitenfels

 

A) Kurzbiographie

Über den Historiker und Schriftsteller Jac(k)ob Christian Breitenfels, der in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts lebte, ist nur wenig bekannt. Neben dem vorliegenden Werk können ihm mit "Das kriegende und siegende Europa aufs Jahr 1679" (Frankfurt/Main 1679) und dem "Historischen ABC" (Nürnberg 1706) zwei weitere Publikationen sicher zugeordnet werden. Die vorliegende Schrift war darüber hinaus eine Auftragsarbeit und erschien als neuntes Buch in der "Fortsetzung des Deutschen Johann Sleidani von den 4 Monarchien". Da anzunehmen ist, dass Breitenfels die Drucklegung des "Historischen ABC's" noch erlebt hat, muss sein Todesdatum nach 1706 angesetzt werden.

 

Literatur:

  • Deutsches Biographisches Archiv, Alte Folge, Mikrofiches-Edition, MF 141.
  • Adelung, Johann Christoph: Fortsetzung und Ergaenzungen zu Christian Gottlieb Joechers allgemeinen Gelehrten=Lexico, Bd. 1, Leipzig 1784, Sp. 2224.

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B) Beschreibung der Quelle

Breitenfels "Theils Friedbeglueckte/ Theils Kriegende und Siegende Europa" erweist sich als eine quantitativ umfangreiche Quelle. Das insgesamt mehr als 1400 Seiten umspannende Werk im Oktavformat besteht aus einem Frontispiz, dem Titelblatt, einem "Vorbericht an den Leser" (Vorwort), einem chronologisch verfassten inhaltlichen Teil sowie einem alphabetisch geordneten Sachregister im Anhang. Der vorangestellte Kupferstich (Azelt Scul.[psit]) kann zwar nicht durch eine große künstlerische Qualität überzeugen, doch ist er aufgrund seines ikonographischen Programms durchaus beachtenswert. Im Zentrum der Darstellung steht die zur Königin gekrönte "Dame Europa", die mit mehreren Insignien der Macht und Würde (Krone, Baldachin, Hermelinpelz) ausgestattet ist. Energisch in die Zukunft blickend hält sie ihr Schwert in der linken Hand nach oben und wird bei dieser Geste vom Kriegsgott Mars, der unmittelbar an ihrer Seite steht, aufmerksam beobachtet. Ihr Zusammenwirken wurde bereits mit Erfolg bedacht, liegen der "Europa Regina" doch drei türkische Kriegsgefangene zu Füssen, die sie zum Teil angstvoll um Gnade anflehen. Unbeeindruckt von diesen Bitten hält sie ein überquellendes Füllhorn in ihrer Rechten, welches andeutet, dass sich der ja noch immer andauernde Krieg auch wirtschaftlich als Erfolg erwiesen hat, was vom geflügelten Berichterstatter Merkur bestätigt zu werden scheint. Die dritte, mit pseudo-antikem Schuppenpanzer, Schild und Speer gerüstete Gottheit Athene, die sich auf der Treppe vor der Königin niedergelassen hat und auf deren Schild der Titel der Chronik noch einmal wiedergegeben wird, symbolisiert ebenso wie die kleine Eule im rechten unteren Bildeck die Klugheit, mit der "Europa" alle ihre Taten plant. Das Zusammenspiel dieser Komponenten lässt beim Leser daher nur den Schluss zu, dass Europas Erfolg den eigentlichen Mittelpunkt des Werkes bildet.
Bevor nun der eigentliche inhaltliche Teil des Buches beginnt, erklärt Breitenfels in seinem Vorwort noch den Grund für seine Niederschrift. Er ist davon überzeugt, dass die seit der Antike betriebene Geschichtsschreibung einen wichtigen Zweck erfüllt, der darin besteht, sich die Vergangenheit immer wieder vor Augen zu halten, um daraus für die Gegenwart und die Zukunft zu lernen. Daher habe sich der berühmte Historiker Sleidanus auch beauftragt gefühlt, die Geschichte der Welt seit ihrem Ursprung niederzuschreiben, wozu er selbst einen Teil beitragen möchte. Gerade die letzte Dekade (1679-1688) sei angefüllt mit derart vielen Ereignissen und Zäsuren, dass man nicht umhin könne, sie dem Leser wieder in Erinnerung zu rufen. Dabei dürfe der pädagogische Zweck der Historiographie ("der Tugend befleissige[n]/ und der Laster enthalte[n]") niemals außer Acht gelassen werden.
Der inhaltliche Teil der Chronik wird von Breitenfels in zwei Sektionen angeboten: der erste Teil umfasst die Berichtsphase 1679-1682 auf 688 Seiten, während der folgende Part die Jahre 1683-1687/88 auf 712 Seiten wiedergibt. Der Verfasser nennt zwar nicht ausdrücklich den Grund für diese Aufspaltung, doch ist aus den einleitenden Berichten abzulesen, warum er jene Teilung gewählt hat: der Jahreswechsel 1682/83 markiert den Übergang vom Frieden in die aktuelle Kriegsphase. In beiden Buchteilen werden die beschriebenen Vorkommnisse ausführlich und sehr detailliert wiedergegeben, wobei die wichtigsten Orte und Personen in Fettdruck hervorgehoben sind, was dem Leser eine gute Orientierungshilfe bietet. Breitenfels nimmt sich dabei ohne Unterschied sowohl politischen, militärischen, wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Themen an, so dass Vertragsinhalte, Ratsbeschlüsse, Briefe oder Hofberichte ebenso ihren Platz finden wie Beschreibungen von Wundern, Naturkatastrophen oder Geburts- und Sterbemitteilungen hochrangiger Personen. Dabei geht der Autor auch innerhalb der einzelnen Berichtsjahre konsequent chronologisch vor und teilt seine partiell fundierten, partiell vermuteten oder erfundenen Berichte stets monatsweise ("May", "Heumonat", "Weinmonat", "Brachmonat" etc.) ein. Auffällig ist jedoch, dass sich seine Niederschriften in den letzten Berichtsjahren 1687/88 deutlich ausdünnen, was wohl vorrangig der trägen und unsicheren Informationsvermittlung der Zeit zuzuschreiben ist.

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C) Europabegriff und -vorstellung bei Breitenfels

Abgesehen von der einleitenden Graphik lässt sich Breitenfels Europavorstellung nur indirekt aus seinen Berichten herleiten. Die verarbeiten Meldungen stammen sowohl aus "Portugall", "Hispanien", "Franckreich", "Engelland", "Schottland", "Irrland", den "Spanischen/Vereinigten Niederlanden", "Teutschland", "Dennemarck", "Schweden", "Norwegen", "Pohlen", "Moscau", "Ukraine", "Hungarn" als auch aus "Italien" (z. B. Republiken Genua und Venedig, Savoyen, "Neapolis und das Sicilianische Koenigreich") und der "Schweitz". Der geographische Umfang und die innere Aufspaltung "Europas" kann außerdem aus Einzelberichten ermittelt werden, die in der Chronik vereinzelt, wie etwa bei der Schilderung eines Naturphänomens im Jahr 1680, auftauchen: "Zur Verwunderung und Schrecken des gantzen Europae ließ sich im Ausgang des Jahres ein gewaltiger Comet=Stern sehen. Wir wollen nicht disputiren/ ob derselbige aus natuerlichen Ursachen herruehre/ oder eine absonderliche Ruthe Gottes seye/ sondern alleine sagen/ daß/ bey Erscheinung sothanes Zeichen am Himmel/ mehrentheils Wassers=Noth/ Pestilentz/ Krieg/ theure Zeit/ Brand/ Erdbeben/ Veraenderung der Regierung/ oder Tod hoher Haeupter/ erfolget. [...] Es ist anmerckens werth / daß man diesen Comet in gantz Europa aller Orten/ absonderlich Italien/ Hispanien/ Portugal/ Engelland/ Franckreich/ Niederland/ Teutschland/ Daennemarck/ Schweden/ Pohlen und Moscau gesehen."
Während Breitenfels das Zarenreich zweifellos zum Weltteil "Europa" zählt, bleibt der Status des Osmanischen Reiches in der Schwebe. Zwar beinhaltet das Werk vor allem im zweiten Teil zahlreiche Berichte über die "Türcken", doch erscheinen sie, vor allem unter dem religiösen Aspekt, lediglich als Feinde, Eindringlinge oder Fremdkörper. So verknüpft auch er "Europa" sichtlich mit der Christenheit, was zwangsläufig bedeutet, dass er die nicht-christlichen "Türcken" als "nicht-europäisch" ansehen, ja definieren muss. Diese Trennlinie wird im zweiten Teil der Chronik besonders deutlich, in dem Breitenfels beispielsweise im Zusammenhang mit seiner Schilderung vom Entsatz Wiens (1683) die provokante Frage "Wo ist nun Euer Gott!" in den Raum stellt. Jacob Christian Breitenfels' Europabegriff scheint folglich zunehmend vom religiös fundierten Antagonismusdenken der Türkenkriegsära geprägt worden zu sein und reiht sich daher nahtlos in die Vorstellungswelt vieler seiner Zeitgenossen ein.

(rf)

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