Jean Desmarets de Saint-Sorlin [1643]

Evrope. Comedie Heroiqve.
A Paris, Chez Henry Le Gras, au troisiesme pilier de la grand' Sale du Palais, à L Couronnée. M. DC. XXXXIII.
Avec Privilege Dv Roy.

Zitierweise: Rolf Felbinger: Quellenautopsie "Jean Desmarets de Saint-Sorlin (1643)", in: Europabegriffe und Europavorstellungen im 17. Jahrhundert. Web-Projekt, Wolfgang Schmale (Dir.). https://europaquellen.univie.ac.at/einzelansicht/news/jean-desmarets-de-saint-sorlin-1643/

Schlagworte: Allegorie; Außenpolitik; Frankreich; Königin; Pastorelle; Propaganda; Schauspiel; Spanien;

Fundort: BSB / Fiche 4 P.o.gall. 31 s

A) KurzbiographieB) Beschreibung der Quelle C) Europabegriff und -vorstellung bei Desmarets de Saint-Sorlin

 

A) Kurzbiographie

Jean Desmarets de Saint-Sorlin (auch: Des Mare[s]ts de Saint-Sorlin) wurde 1595 in Paris geboren, besuchte das dortige Jesuitenkolleg und erhielt durch seinen Lehrer Denis Pétau eine gleichermaßen künstlerisch wie literarisch orientierte Ausbildung. Er stellte 1632 seinen Roman "L'Ariane" im Salon des "Hôtel de Rambouillet" vor, welcher im gleichen Jahr zur Veröffentlichung gelangte und die Aufmerksamkeit Kardinal Richelieus auf sich zog, dem er bereits 1626 offiziell vorgestellt worden war. Desmarets de Saint-Sorlin avancierte in den folgenden Jahren zu einem bevorzugten Autor, Mitarbeiter und Vertrauten Richelieus, der die Karriere seines Schützlings rasch vorantrieb. Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern der "Académie Française", der er zwischen 1634 und 1638 als Kanzler vorstand, und führte seit 1637 verschiedene Ämter- und Ehrentitel wie "Conseiller du Roi", "Contrôleur général de l'extraordinaire des guerres" oder "Secrétaire général de la marine du Levant". Im Auftrag seines Mäzens arbeitete er an verschiedenen, überwiegend propagandistischen Theater- und Ballettstücken wie "Aspasie" (1636), "Mirame" (1639) oder "La prospérité des armes de la France" (1641), die den protegierten Schriftsteller zu großen Erfolgen führten, obwohl sie oftmals nur von mittelmäßiger Qualität waren.
Nach dem Tod des Kardinals im Dezember 1642 wendete sich Desmarets de Saint-Sorlin zunehmend von seinen bisherigen Arbeiten ab und begann Werke mit christlich-moralischen oder mystisch-spirituellen Inhalten zu verfassen, die sich in erster Linie gegen religiöses Freidenkertum, Skeptizismus und Jansenismus (Port-Royal) richteten. In den Jahren 1657/58 wurden seine wohl bekanntesten Werke "Clovis, ou la France chrestienne" sowie "Les délices de l'esprit" veröffentlicht, die bis in das 18. Jahrhundert zahlreiche Auflagen erlebten. Während des Devolutionskrieges (1667/68) schrieb er das panegyrische Gedicht "La campagne de Franche-Comté", das er Ludwig XIV. widmete und damit gleichzeitig eine erneute literarisch-inhaltliche Umorientierung andeutete.
In der langanhaltenden Auseinandersetzung zwischen den Repräsentanten der Tradition ("les anciens") und der Moderne ("les modernes") sprach er sich nachhaltig für den Wert sowie die Überlegenheit der französischen Sprache und Literatur aus und untermauerte seinen Standpunkt in verschiedenen Schriften wie "La Comparaison de la langue et de la poésie françoise avec la grecque et la latine" (1670) oder "Triomphe de Louis et de son siècle" (1674). Jean Desmarets de Saint-Sorlin starb am 28. Oktober 1676 in Paris und wurde in der Kirche Saint Paul begraben.

 

Literatur:

  • Dictionnaire de Biographie Française, T. 10, Paris 1965, Sp. 1449-1450.
  • Caillet, Marie-Alice: Un visionnaire du XVIIe siècle: Jean Desmarets de Saint-Sorlin. Paris 1935.
  • Eymard d'Angers, Julien: Pascal et ses précurseurs: l'apologétique en France de 1580 à 1670. Paris 1954. (Le monde catholique)
  • Hall, Hugh: Richelieu's Desmarets and the century of Louis XIV. Oxford 1990.
  • Stenzel, Hartmut: Barockes Schreiben zwischen Traditionalität und Modernitätspostulat. In: Küpper, Joachim (et al.): Diskurse des Barock: dezentrierte oder rezentrierte Welt? München 2000, S. 429-461.

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B) Beschreibung der Quelle

Desmarets de Saint-Sorlins Heldenkomödie entsteht als Auftragsarbeit Kardinal Richelieus in den Jahren zwischen 1638 und 1642 und erweist sich als monumentales Werk höfischer Propaganda. Das dem Stil einer mittelalterlichen Pastorelle angelehnte Stück dient dazu, die auf Hegemonie ausgerichtete Außenpolitik Frankreichs in allegorischer Form zu glorifizieren und das in Opposition stehende Haus Habsburg als ebenso tyrannischen wie intriganten Usurpator des gegenwärtigen (Dreißigjährigen) Krieges zu entlarven. Die Uraufführung des Schauspiels findet am 18. November 1642 statt, doch konnte der erste Minister Ludwigs XIII. nicht mehr an ihr teilnehmen, weil er zu diesem Zeitpunkt bereits fiebrig erkrankt war und schließlich am 4. Dezember 1642 stirbt. Da die Drucklegung des Werkes erst am 13. Januar 1643 erfolgt, hat er die endgültige Fassung des Stückes vermutlich nicht gekannt.
Die Quelle setzt sich aus einem Titelblatt, einem Frontispiz mit allegorischem Bildinhalt, einem einleitenden Gedicht, einer Vorbemerkung des Herausgebers für den Leser, einem Personenverzeichnis, dem Prolog und eigentlichen Schauspiel, dem königlichen Privileg sowie einer Tabelle zusammen, welche alle vorkommenden allegorisch verschlüsselten Personen, Personengruppen, Orte und Ereignisse erklärt. Der inhaltliche Teil des Stücks wurde in 5 Akte bzw. 35 Szenen (1/5, 2/6, 3/7, 4/7, 5/10) aufgeteilt und ist fortlaufend in klassischen Paarreimen verfasst.
Das Frontispiz zeigt die im Stück als "Reyne des Roys" oder "Reyne auguste" bezeichnete Europa zwischen den beiden hauptsächlichen Konkurrenten "Francion" (Frankreich) und "Ibere" (Spanien). Ibere, der ganz in spanischer Hoftracht (Hals- und Handkrause, hohes Barett, Seidenstrümpfe, Capa) gekleidet ist, versucht Europa in Ketten zu legen und sie auf diese Weise seinen Wünschen zu unterwerfen. Die gekrönte und in Hermelin gekleidete Dame versucht verzweifelt Ibere abzuwehren und wendet sich hilfesuchend an Francion, der, angetan mit einer antiken Rüstung, langer Haartracht und dem gallischen Hahn auf seinem Helm, bereits sein Schwert aus der Scheide zieht, um gegen Ibere vorzugehen. Während der Angreifer von seinem greisen, ernst blickenden Blutsverwandten "Germanique" (Deutsches Reich) und einer knienden, verstört wirkenden "Austrasie" (Lothringen) flankiert wird, hat sich die im Bildhintergrund platzierte "Ausonie" (Italien) zu Europa und Francion gesellt. Die relativ simple Aufteilung der anstehenden (literarischen) Fronten nimmt hier ihre bildliche Manifestation im zeitgenössischen Stil vorweg.
Der anschließende Vierzeiler verweist folgerichtig darauf, dass diejenigen, die Frankreich lieben, auch das Stück lieben werden, wohingegen diejenigen, die Frankreich nicht mögen, den Autor verwünschen werden. Dieser Gedanke wird in der Vorbemerkung an den Leser wiederum aufgenommen. Es wird darauf hingewiesen, dass der allegorische Inhalt des Stückes die Possenhaftigkeit der Politik Madrids und Brüssels zeigt und in entsprechender Form auf sie antwortet. Die aufgezeigten Eigenschaften der vorkommenden Personen entsprechen dabei denen der einzelnen Nationen und nicht der Fürsten, die sie beherrschen. Im Fall Iberes zeige sich somit vielmehr die Lasterhaftigkeit aller Spanier und nicht etwa des spanischen Souveräns, wie man nach der Lektüre glauben könnte. Offensichtlich wollte der Autor mit dieser - im gesamten Werk einmaligen - Einschränkung der negativen Schilderung Iberes Rücksicht auf die französische Königin Anne d'Autriche nehmen, die dem Zweig der spanischen Habsburger entstammte und die Schwester Königs Philipp IV. war.
Während des folgenden Prologs deklamiert der vom Himmel herabsteigende, personifizierte Friede eine Ode. Der Kriegsgott Mars hat seine Macht über die Erde verloren und allerlei Begleiter (Glaube, Ehre, Tugend etc.) werden nun beschworen, den Frieden während seiner neuerlichen Herrschaft zu unterstützen. Die letzte Strophe widmet Desmarets de Saint-Sorlin der allgemeinen sowie aktuellen Lage Europas, auf die unter Punkt C) eingegangen wird.
Die erste Szene des Schauspiels zeigt Ibere, der Europa erobern und besitzen möchte ("Ie brûle pour Europe, & ma fortune est telle ... Europe, belle Europe, objet de mon amour") und deshalb seinen Verwandten und Schicksalgefährten Germanique um Unterstützung bittet. Dieser warnt ihn vor Francion, dessen Eigenschaften und Stärken nicht nur Ibere gefährlich werden, sondern auch Europa bezaubern könnten. Ibere eilt daraufhin zu Europa, die ihn mit den Worten "Voicy mon ennemy" empfängt und ihm seine bisherigen schändlichen Taten vorwirft. Ibere beantwortet ihre Vorwürfe mit Charme und Liebesschwüren, welche die Königin jedoch zurückweist. Da Ibere, der sich als größter Potentat der Welt betrachtet, die Verführung der Europa nicht gelingt ("Car ie veux demeurer vierge & libre à iamais"), droht er ihr mit den Einsatz kriegerischer Mittel. Nach einer kurzen Zwiesprache mit ihrer Vertrauten Ausonie hofft Europa auf die Hilfe des ritterlichen Francion, die ihr bald seine Aufwartung macht und sie von seiner Treue und wahren Liebe überzeugen kann. In der fünften Szene des ersten Aktes bedrängt Ibere erneut die Königin, die ihm erregt vorwirft, mit den gleichen Liebesschwüren noch hundert andere Opfer zu umgarnen. Auch sei die Behandlung ihrer jungen Schwester "Amerique", die er ("le Tyran de ma soeur") in seinen Händen habe, mehr als schändlich. Sein Wunsch, beide Schwestern zu besitzen, weist sie als abscheuliches Begehren ("inceste abominable") zurück. Daraufhin verliert Ibere seine Geduld und bedroht Europa mit einem Ultimatum: entweder sie ergebe sich seiner Liebe oder sie werde seinen Hass zu spüren bekommen.
Der zweite Akt beginnt erneut mit einem Dialog zwischen Ibere und Germanique, der ihm dazu rät, nach "Melanie" (Mailand) und "Parthenope" (Neapel) nun auch Ausonie zu erobern, um seine Ausgangslage weiter zu verbessern. Ibere offenbart immer mehr seine schlimmen Charakterzüge, indem er erklärt, jederzeit auch unlautere Mittel für seine Ziele einzusetzen. Ausonie widersteht jedoch mit Hilfe Francions den verlockenden Versprechungen Iberes, der auf Rache sinnt. Germanique versucht ihn zu besänftigen, indem er ihn auf alle seine bereits erreichten Besitztümer hinweist, doch bleibt seine Gier ("T'en possede beaucoup, mais i'en desire encor ... quand on a beaucoup, tousiours la soif augmente") ungebrochen. Mit dem Auftritt Austrasies eröffnet sich ihm die erneute Chance einer erfolgversprechenden Intrige. Er verspricht Austrasie, ihren Besitz auf Kosten Francions zu vergrößern und ihre Grenzen auszuweiten, wenn sie ihn im Kampf unterstützt. Austrasie glaubt allen Versprechungen, verliebt sich in Ibere, lässt sich auf eine Allianz gegen Francion ein und wird mehr und mehr zu einem willenlosen Werkzeug Iberes.
Ein Monolog der Europa eröffnet den dritten Akt und zeichnet ein Bild der aktuellen Lage Europas und ihrer Schwester Amerique. Francion kristallisiert sich an dieser Stelle nochmals als einziges Mittel gegen das drohende Joch Iberes heraus. In der zweiten Szene treffen die drei Verbündeten Europa, Francion und Ausonie zusammen, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Francion ist bereits über die neue Allianz seines Gegners informiert und bereit, gegen die feindliche Koalition in den Krieg zu ziehen. Seine Absichten und Handlungen, die vollkommen offengelegt scheinen, werden ohne jeglichen Tadel aufgenommen und von seinen Begleiterinnen bestätigt. Der Kampf gegen Ibere dient gerechten Interessen, da er sich ausschließlich der Verteidigung und dem Schutz vor der Willkür eines Tyrannen widmet. In den folgenden Szenen treffen Francion und Austrasie, der zwischenzeitlich Zweifel am Verrat an ihrer Mutter Europa gekommen sind, mehrmals aufeinander. Austrasies Versuche, Francion zu täuschen, schlagen fehl und sie verliert schließlich zur Gänze ihren Besitz. Sie wendet sich verzweifelt an Ibere, der Francion zwar zur Rede stellt, aber angesichts dessen Stärke nichts auszurichten vermag. Trotz des wiederholten Rückschlages beharrt Ibere mit dem Ausspruch "Cessant de desirer, ie cesse d'estre Ibere" auf seinen Zielen.
Im vierten Akt geht der Kampf zwischen den beiden Kontrahenten weiter, wobei in der dritten Szene erstmals die Religionen Europas thematisiert werden. Germanique klagt Francion des Verrats der wahren Religion an, da er sich mit Lutheranern und Calvinisten verbündet habe, um seine Ziele zu erreichen, während Ibere stets vehement für seinen katholischen Glauben eintrete. Germanique ahnt zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht, dass Ibere auch zu einem Verrat aller seiner Überzeugungen bereit ist, falls dies zur Niederringung seiner Feinde von Nöten sei. Europas (arg konstruierter) Einwand, dass das verworrene Zeitalter und nicht die Politik Francions an der Konfusion der Religionen schuld sei, soll Germaniques Vorwürfe entkräften. Während des Dialogs überzeugt sich die Königin von den ehrlichen und guten Absichten des alten Germanique, mit dem sie Frieden zu schließen wünscht. Die zweite Allierte Austrasie tritt auf und bittet Europa um Hilfe bei der Wiedererlangung ihres Besitzes, welche Europa mit dem Hinweis auf die Rechtmäßigkeit der Enteignung zurückweist. Hin- und hergerissen zwischen der allseits gepriesenen Größe Francions und ihrer Liebe zu Ibere entscheidet sie sich zu einem Koalitionswechsel und hofft von Francion gut aufgenommen zu werden.
Der Schlussakt beginnt mit der vollkommenen Restitution Austrasies durch den großmütigen Francion, der ihren Verrat mit der Verführung durch Sirenenstimmen entschuldigt. Austrasie beschließt daraufhin, seine Größe "à toute Nation" zu loben, während Germanique, der die Szene beobachtet hat, von der selbstlosen Haltung des Kontrahenten keineswegs überzeugt ist und Eitelkeit sowie Ehrgeiz hinter der Tat vermutet. Doch seine Zweifel wachsen als er sich auf die Gemeinsamkeiten zwischen den Völkern der Deutschen und Franzosen besinnt, sich schließlich von Ibere lossagt und mit Francion Frieden schließen will. Verlassen von all seinen Gefährten beklagt Ibere in der fünften und achten Szene seine maßlose Gier und den jämmerlichen Zustand, in dem er sich befindet. Auch die plötzliche Rückkehr Austrasies zu ihrem Geliebten, über den sich alle Beteiligten nur wundern können, kann den Kriegsverlauf nun nicht mehr beeinflussen. Die letzte Szene zeigt den allgemeinen Friedensschluss, für den die Königin Europa ihrem Favoriten Francion dankt. Trotz seiner Verstöße sei, neben den als gleichrangig angesehenen Francion und Germanique, auch für Ibere noch ein Platz in ihrer Seele frei, wenn sein flammendes Begehren endlich verlöschen sollte.

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C) Europabegriff und -vorstellung bei Desmarets de Saint-Sorlin

Wie alle anderen Figuren des Schauspiels betritt "Europa" das Geschehen als personifizierte Gestalt. Der vorangestellte Kupferstich zeigt sie als gekrönte Königin und auch im Stück selbst wird sie durchwegs als höchste Dame, wahrhaftige Königin, Königin der Könige bzw. einmal als Mutter (aus dem Mund Austrasies) bezeichnet. Der Monolog Europas zu Beginn des dritten Aktes liefert die ausführlichste Beschreibung ihrer Figur, so wie sie Desmarets de Saint-Sorlin verstanden wissen will:

"Moy qui des quattre soeurs qui partagent la terre,
Ay la part la plus noble & plus propre à la guerre,
La plus seconde en arts, en peuples, en citez,
En ports dans les deux mers, en fruits de tous costez,
Qui tiens de l'Vniuers cette illustre partie,
Où la societé, l'honneur, la modestie,
Le sçauoir, la valeur, les Graces & L'Amour,
Ont choisi pour iamais leur aymable séjour;
Moy la puissante Europe, actiue, genereuse,
Abondante en richesse, & ie dirois heureuse,
Si d'vn seul ennemy l'ambitieuse ardeur,
N'eût iamais entrepris d'opprimer ma grandeur;"

Die Dame wird bedrängt durch das Intrigieren um Macht und Einfluss in ihren verschiedenen Provinzen, deren Rivalitäten wiederum den Krieg heraufbeschwören. Die Frontlinie zwischen den beiden hauptsächlichen Potentaten, die in dem Stück um ihre Gunst buhlen, ist klar gezogen, denn auf der einen Seite verkörpert Ibere ein ruhmsüchtiges, machtgieriges und eitles Spanien, das eine tyrannische Herrschaft in ganz Europa anstrebt, während auf der anderen Seite das "ritterliche" Frankreich steht, das, symbolisiert durch den tugendhaften, mutigen und schönen Francion, die Freiheit Europas sogar gegen seine eigenen Interessen - welche es zunächst zurückstellt - schützen will. Während Spanien als Motor des Krieges schnell enttarnt wird, handelt Frankreich zu Verteidigungszwecken und mit dem edlen Motiv, sich des willkürlichen Gewaltherrschers zu entledigen. Auf diese grundlegende Konstruktion wird der Leser bereits in der letzten Strophe des Friedensprologs ausdrücklich hingewiesen:

"Europe qui du monde eut le plus beau partage,
Qui compte tant de Rois entre ses habitans,
Malgré l'orgueil de ses Titans
Va voir dissiper son orage.
Apres mille tourmens souffers,
Vn Guerrier valeureux la va fauuer des fers
D'vn Tyran dont l'ardeur la veut rendre captiue.
Son heur sera celuy de tous.
Apres le mal, le bien: les fruits de mon Oliue
Au cueillir sont amers, & par le temps sont doux."

Der Inhalt des Stückes orientiert sich an den Geschehnissen, die seit dem offenen Eintritt Frankreichs in den Dreißigjährigen Krieg (1635) stattgefunden haben und zeigen den Stand der Ereignisse im Jahr vor der Entscheidungsschlacht von Rocroi (19. Mai 1643), an welcher der Übergang von der spanischen zur französischen Hegemonie in Europa im allgemeinen festgemacht wird. Der Kampf zwischen den Potentaten Spanien und Frankreich befindet sich demzufolge zur Zeit der Uraufführung und Drucklegung des Schauspiels auf dem Höhepunkt und erklärt in diesem Zusammenhang seine stringente Schwarz-Weiß-Malerei sowie seinen, in Bezug auf Ibere/Spanien partiell offengehaltenen Ausgang, der aus dem Mund der Europa nicht nur wie eine Aufforderung zur Mäßigung, sondern vielmehr wie ein Kapitulationsangebot klingt. Die künftige Vorrangstellung Frankreichs steht offensichtlich sowohl für den Autor als auch den Auftraggeber der Heldenkomödie nicht mehr in Frage.
(rf)

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