Johann Dietrich von Gülich [1689]

Johann Dietrich von Gülich:

Der Europaeische Justinus, Das ist: Eine wahre und gründliche Geographische, Politische und Historische/ Beschreibung der Europaeischen Keyserthümer,/ Königreiche, Potentaten und/ Herrschaften./ In welcher/ Nebst einer richtigen Geographi-/ schen Gräntz=Beschreibung einer jeden Herr=/ schaft in Europa, auch die wahre heutige Regierungs/ Art und die fürnehmste Geschichte sowol voriger als/ jetziger Zeiten gründlich erzehlet und aus allerley neuen/ Curieusen Scribenten, Politicis und Historicis zum/ Nutzen und zur Belustigung des geneigten/ Lesers werden fürge=/ tragen./ Mit sonderbarem Fleiß und unpar=/theischem Gemüthe eingerichtet und/ zum erstenmal dem Druck/ übergeben/ von/ Johann Dietrich von Gülich, Jcto. Osnab. Westph.
Franckfurt, gedruckt bei Johannes Haaß, 1689.

Zitierweise: Alexander Wilckens: Quellenautopsie "Johann Dietrich von Gülich (1689)", in: Europabegriffe und Europavorstellungen im 17. Jahrhundert. Web-Projekt, Wolfgang Schmale (Dir.). https://europaquellen.univie.ac.at/einzelansicht/news/johann-dietrich-von-guelich-1689/

Schlagworte: Christenheit; Figur; Geographie; Mythos; Religionen; Sprachen;

Fundort: ÖNB / *48.Z.23

A) Kurzbiographie   B) Beschreibung der Quelle   C) Europabegriff und -vorstellung bei Gülich

 

A) Kurzbiographie

Johann Dietrich von Gülich wurde am 1. Mai 1646 zu Osnabrück geboren. Er studierte zunächst in seiner Geburtsstadt, dann auch in Rostock und Kiel. Zusammen mit einigen jungen adligen Herren unternahm er eine Bildungsreise durch Italien und Frankreich. Danach hielt er sich in Hamburg und Lübeck auf. Er übersiedelte nach Göttingen, wo er eine Zeitlang als Advokat tätig war. 1690 wurde er dort Professor für Mathematik und griechische Sprache und erhielt 1693 die Stelle des Rektors an der gleichen Schule. Zu seinen Werken zählen: analysin capitulationis josephinae chronologico-pragmatologicam und "Anmerckungen zu Theodor Reinkings verjüngten römischen Reichs=Adler". Er starb 1696.

Literatur:

     

  • Jöcher: Allgemeines Gelehrten-Lexicon: Darinne die Gelehrten aller Stände... vom Anfange der Welt bis auf ietzige Zeit... Nach ihrer Geburt, Leben... Schrifften aus der glaubwürdigsten Scribenten in alphabetischer Ordnung beschrieben werden / Jöcher, Christian Gottlieb.- Leipzig 1750-51 (4 Bde.)
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B) Beschreibung der Quelle

Gülichs Werk, im 8° Format, ist auf 320 Seiten angelegt, mit zahlreichen Karten und Abbildungen, und ist in 40 Kapitel und mehrere Unterabteilungen gegliedert. Am Ende findet sich ein Register.
Am Anfang steht eine "Vorrede an den geneigten Leser", in der Gülich das Vorhaben seines Buches erklärt und Bezug auf verschiedene Werke seiner Zeit nimmt. Im Unterschied zu Werken wie die wenige Jahre zuvor erschienene allgemeine Weltbeschreibung des französischen Mathematikers Allain Manetlon Mallet, die kurz und nicht ganz vollkommen, wegen der Kupferstiche vor allem aber teuer gewesen sei, stellt Gülich ein Buch vor, das einen möglichst breiten Leserkreis ansprechen soll. Damit der Leser aber "nicht alein eine blosse Beschreibung der Länder und deren Sitten und Kleidung zu lesen bekommet, sondern auch fürnehmlich eines jeden landes Regierungs= Art und vornehmste Geschichte dabey aufgezeichnet finde", lehnt sich der Autor an das "judicio" des Philippus Andreas Oldenbürger, Burgoldensis genannt, wonach die "dreyfache Orbis notitia Geographica, Politica & Historica einen berühmten Politicum machen kan". So unternimmt er die für ihn nicht undienliche Aufgabe "diese dreyfache Wissenschaft in einem Tractat zusammen zu verknüpfen, und diesesmahl von Europa so wol die Beschreibung der dazu gehörigen Provintzen als die Regierungs= Art und die vornehmste Geschichte auff die Schawbühne der Welt zu führen". Es gäbe schon verschiedene Traktate, in denen die Weltbeschreibung nur nach der Geographie oder der Situation der Länder erfolgt sei, oder nur die Geschichte eines jeden Landes in Europa aufgezeichnet worden wäre. Darunter nennt Gülich Werke von Luca de Linda, Happel oder Puffendorf. Andere hätten Autoren nur konfuss durcheinander gemischt. "So habe dißmahl dem geneigten Leser zum besten die Mühe genomen, aus verschiedenen Scribenten den Kern zusammen zu ziehne, und die vorbemelte dreyfache Wissenschaft von Europa diesesmahl dem Liebhaber mit zutheilen." Die Anordnung der zu behandelnden Länder hat Gülich vom Werk des genannten Mallet übernommen. So beschreibt er erstlich "eines jeden Landes Situation, Provintzen, Städte, Völcker und Sitten, zum anderen desselben Staats= und Regierungs= Art, drittens die fürnehmste Geschichte eines jeden Reichs und Staats, so kurtz als es immer möglich, berühren, und was sich fürnehmlich zu unseren Zeiten denckwürdiges darinnen begeben". Danach will er auch von den anderen Teilen der Welt "in dergleichen Ordnung die denckwürdigste Sachen zusammen tragen." Den Titel des Werkes, Justinus, habe er in Anlehnung an "Justinis" Geschichtsbeschreibung gesetzt, so dass er nicht mit der kleinen französischen Schrift Justin Modern, die einige Jahre zuvor anonym erschienen sei, verwechselt werden dürfe.
Nach einer Beschreibung von Europa im Allgemeinen behandelt Gülich folgende europäische Länder: die Nordländer Norwegen, Dänemark, Schweden, dann Russland ("Moscow"), die "kleine Tartarey", Polen, die nördliche Europäische Türkei (mit Wallachey, Moldau, Siebenbürgen und Ungarn) und die Türkei selbst; in Italien das Papstum, Venedig, die Herzogtümer Mantua, Modena und Parma sowie das spanische Italien und Florenz; es folgen Spanien, Portugal und Grossbritanien, "Teutschland" in die verschiedenen Reichskreise unterteilt, Böhmen, die Spanischen und die Vereinigte Niederlande, zuletzt die Schweiz und Frankreich.

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C) Europabegriff und -vorstellung bei Gülich

Der Kompendium-Charakter des Gülich'schen Werkes tritt schon bei Begriff und Vorstellung von Europa besonders markant vor Augen. Europa ist auf der einen Seite die Summe der im Werk beschriebenen Länder, auf der anderen eine übergeordnete Kategorie, die mehr als nur den Rahmen des Werkes darstellt. Eine Karte - Europe Moderne, das neue Europa betitelt - dient zur Einführung in die verschiedenen Definitionen des Europas der damaligen Zeit, die Gülich eine nach der anderen kurz vorstellt.

Zunächst wird vermerkt, dass der Name Europa von der Tochter des phönizischen Königs Agenoris, welche von dem in einem Stier verwandelten Jupiter geraubt worden war, hergeleitet wird. Der Europa-Mythos, "von den Mahlern noch diese Stunde fürgebildet durch eine Jungfrau, die auf einem Ochsen reitet", dient als erste Erklärung für den Ursprung der Künste, Wissenschaften und Landwirtschaft im Kontinent.
Dann wird die Vorstellung von Europa als weibliche Form, als sitzende Jungfrau oder gekrönte Dame wiedergegeben: "Sonst wird Europa auch der äusserlichen Gestalt nach einer sitzenden Jungfrau verglichen, durch de/ren Haupt das Königreich Spanien, durch den Halß und die Perlen herum das Pyrenäische Gebürge, durch die Brust Franckreich, durch die Arme Italien und Groß=Britannien, durch den Bauch Teutschland, durch den Nabel Böhmen, durch die übrigen Theile deß Leibes, so mit Falten gleichsam die Füsse bedecken, Norwegen, Schweden, Finnland, Moscau, Littauen, Polen, die kleine Tartarey und Europäische Türckey vorgebildet werden". [S. 2]
Als nächstes wird Europa geographisch beschrieben. Die größte Länge betrage 900, die Breite aber nur 550 deutsche Meilen und ihre Lage sei eigentlich die beste aller Kontinente, nämlich in der "Zona mundi Temperata". Als natürliche Grenzen Europas werden im Norden das Eismeer, im Orient Asien (und "das Archipelagus"), gegen Süden das Mittelmeer und im Westen der Atlantische Ozean angegeben, um dann die wichtigsten Gebirge und Flüsse zu nennen. Die verschiedenen "Provintzen und Länder", in die Gülich Europa unterteilt, sind die schon oben angeführten, die im Werk dann gründlich beschrieben werden.
Politisch wird Europa in Kaisertümer (das Heilige Römische Reich, die Türkei, das Moskauer Zarentum), Königreiche (Spanien, Frankreich, England, Dänemark, Schweden, Polen, Portugal, Böhmen und Ungarn) und Republiken (Venedig, die Vereinigten Niederlande, die Schweizer Kantone und etliche in Italien) unterteilt. Darunter unterscheide man noch die vielen Herzogtümer, Fürstentümer, Grafschaften usw.
Der Religion nach ist Europa mit der "wehrten Christenheit" gleichzusetzen. Die Christliche Religion, die von den Europäern in den anderen drei Teilen der Welt ausgebreitet wird, besteht aus drei - in Deutschland "durch den Münsterischen Frieden=Schluß Anno 1648" erlaubten - Religionen, nämlich die katholische, lutherische und calvinische. Neben diesen finde man noch Heiden und Götzendiener sowie Muslime und Juden und eine bunte Vielfalt an Sekten und falschen Lehren.
Als letztes Element seiner Europa-Beschreibung bringt Gülich die Sprachen vor. In Europa könne man vier Hauptsprachen unterscheiden: "die Slavonische, die Teutsche, die Lateinische und die Türckische". Aus der ersten rühren die "Dalmatische, Siebenbürgische, Böhmische, Polnische und Moscowitische und die Ungarische" her, während aus der zweiten "die Nieder=Sächsische, die Schweitzerische, die Flämische, Englische, Dänische, Schwedische und Norwegische Sprache" erwachsen seien. Aus der lateinischen Sprache, die nun keine Muttersprache mehr sei, sind die "Französische, Italienische, Portugalische und Spanische Sprachen" hervorgegangen. Die griechische Sprache, die als Muttersprache schon ziemlich abgestorben sei, bewahre sich noch, wenn auch unter Schwierigkeiten, unter dem türkischen Joch. Neben diesen großen Hauptsprachen finde man in Europa noch viele mehr, die aber nur geringe Verbreitung genießen würden.
Der Aussagewert des "Europäischen Justinus" liegt in der Anschaulichkeit der verschiedenen damals gängigen Europavorstellungen, die der Verfasser ohne Partei zu ergreifen vorstellt. Der Europa-Mythos und die weibliche Gestalt der Europakarte spielen im weiteren Verlauf des Werkes zwar keine Rolle mehr, dafür findet die geographische, politische und sprachliche Auslegung in den jeweiligen Beschreibungen der Länder Europas eine breite Entfaltung.

(aw)

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