Johann Frischmann [1658]

Consilium Rationis Status
Oder Treu=Geheimer Rathschlag Unter Den Himmlischen Influentz=Goettern/ Uber jetzigen Zustand in Europa/ Auß den Alten Reichs=Protocollen/ und andern veruebten Actis Publicis.
Præterita futura pandent.
Mercuriopoli [s. l.], Anno M.DC.LVIII.

Zitierweise: Rolf Felbinger: Quellenautopsie "Johann Frischmann (1658)”, in: Europabegriffe und Europavorstellungen im 17. Jahrhundert. Web-Projekt, Wolfgang Schmale (Dir.). https://europaquellen.univie.ac.at/einzelansicht/news/johann-frischmann-1658-1/

Schlagworte: Flugschrift; Heiliges Römisches Reich; Kaiserwahl;

Fundort: BSB / Res / 4 Eur. 504 k

A) KurzbiographieB) Beschreibung der Quelle C) Europabegriff und -vorstellung bei Frischmann

 

A) Kurzbiographie

[Der Verfasser lässt sich anhand des deutschen Anonymenlexikons von Michael Holzmann und Hans Bohatta auflösen. Einen bibliographischen Nachweis liefert außerdem die von Paul Hohenemser angefertigte Aufstellung der Flugschriftensammlung "Gustav Freytag", welche die Quelle beinhaltet. Beide ordnen dem anonym veröffentlichten Pamphlet den Diplomaten und Publizisten Johann Frischmann zu, der um das Jahr 1612 in Kulmbach geboren wurde. Über seine familiäre Herkunft und seinen Werdegang liegen allerdings keine Informationen vor. Er besuchte nachweislich seit 1630 die erst einige Jahre zuvor zur Universität erhobene Hochschule in Straßburg, wo er unter der Leitung des Historikers und Philologen Matthias Bernegger zu einem charakteristischen Repräsentanten der sogenannten "irenischen" Zeit wurde. Die irenische Schule bezog ihre Anhänger in erster Linie aus der Welt des gelehrten Protestantismus, die nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges zunächst Schweden und seit der Kaiserwahl Leopolds I. (1657/58) Frankreich als "natürlichen" Verteidiger deutscher Libertät ansah.
Frischmann ging nach seiner Studienzeit zunächst ins württembergische Mömpelgard, bevor er in schwedische Dienste und schließlich in den Hofstaat des Mainzer Kurfürsten wechselte. Im Jahr 1658 wurde er durch Kardinal Mazarin zum französischen Residenten in Straßburg ernannt, der in ihm ein ideales Werkzeug zur Durchsetzung seiner elsässischen Politik sah. Frischmann bezog in mehr als vierzig Einzelpublikationen, die sich konsequent durch einen ebenso thesenreichen Inhalt wie wendige Sprache auszeichneten, zur Auseinandersetzung der rivalisierenden Häuser Bourbon und Habsburg Stellung. Seinen Veröffentlichungen ist allen gemein, dass sie stets versuchten, die zeitgeschichtlichen Ereignisse immer auch auf ihre "europäische" Tragweite bezogen zu untersuchen. Allerdings muss eingeräumt werden, dass Frischmanns Überlegungen überwiegend ohne Resonanz blieben, was erklärt, warum seine Person im späten 18. Jahrhundert in Vergessenheit geriet. Johann Frischmann starb am 25. September 1680 in Straßburg.]

 

Literatur:

  • Hohenemser, Paul: Flugschriftensammlung Gustav Freytag. Frankfurt/Main 1925, Nr. 5868.
  • Holzmann, Michael/Bohatta, Hanns: Deutsches Anonymen-Lexikon, Bd. 6 (Nachträge und Berichtigungen). Weimar 1911, Nr. 3531.
  • Neue Deutsche Biographie, Bd. 5, S. 621.
  • Livet, Georges: L’intendance d’Alsace sous Louis XIV: 1648-1715. Strasbourg 1956. (= Publications de l’Institut des Hautes Études Alsaciennes; 15).
  • Wentzcke, Paul: Johann Frischmann, ein Publizist des 17. Jahrhunderts. Straßburg 1904.

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B) Beschreibung der Quelle

Die analysierte Flugschrift wurde im Jahr 1658 anonym, ohne Nennung des Druckers und mit dem fiktiven Erscheinungsort "Mercuriopoli[s]" in Druck gegeben. Die äußerst schlicht aufgemachte Schrift umfasst lediglich ein Titelblatt sowie einen über 21 Seiten fortlaufenden Text, der abwechselnd in deutscher und lateinischer Sprache verfasst wurde. Das Titelblatt trägt darüber hinaus den Sinnspruch "Præterita futura pandent", durch den die angesprochene, gebildete Leserschaft aufgefordert wird, für die Gestaltung der Zukunft auch das Vergangene stets zu bedenken, da es die Nachwelt bestimmt und prägt.
Der eigentliche Text beginnt mit der Schilderung der versammelten antiken Götterwelt, die - wie so häufig - neugierig nach Europa blickt und die Rückkehr des Götterboten Mercurius erwartungsvoll herbeisehnt, der in den frühneuzeitlichen Mediengattungen "Flugschriften", "Nachrichtensammlungen" oder "Periodika (Zeitungen/Zeitschriften)" ein beliebtes und oft verwendetes Motiv (vgl. Anonym [1674] "Goetter=Both"Anonym [1684] "Franckreich"Anonym [1689] "Mercurius"Anonym [1689] "Schriften" oder Anonym [1698] "Compendium") darstellt: "Diejenige so muessig und Melancholisch seynd/ thun nicht leicht etwas anders/ als daß sie gute Gesellschafft suchen/ oder nach newen Zeitungen fragen/ wie dann Mercurius als der Goetter General Postmeister mit seinen gefluegelten Achselen und Fersen nicht bald feyret/ welcher vor wenig Tagen von dem Jovialschen Tribunali auß dem Berg Peregrino abgefertiget uem zu vernehmen/ wie es doch so wundersam und bald veraenderlich in den Koenigreichen Europæ, bevor aber/ warumb deß Roem[ischen]. Kaesers Wahl so langsam hergehe/ was man eygentlich fuer Nachrichtung in dem hochberuehmten Churfuerstl[ichen]. Collegio ergruenden koente/ dann die Goetter besonders verlangten nicht allein damit so unterschiedlichen Klagen und Memorialen [...] dermahl eines abgeholffen wuerde: sondern auch/ auff daß sie den zubereiteten gratulations-Festen unnd Banqueten/ mit besserer Ruhe unnd ohn Gewissens=Nagung [...] abwarten moechten."
Im Mittelpunkt des diesmaligen Interesses der Götterversammlung steht demnach die noch immer ausstehende Wahl eines neuen deutsch-römischen Kaisers. Die Neubesetzung der seit dem Tod Ferdinands III. (1657) vakanten Position war im Kurfürstenkollegium heftig umstritten und auch zum Zeitpunkt der Drucklegung dieser Flugschrift stand eine Entscheidung noch aus. Um die Situation des führungslosen Reiches eindringlich darzustellen, wählt der Verfasser das Bild einer ebenso keuschen wie schönen Jungfrau namens "Monasteria" ("die Klösterliche" bzw. "Klosterfrau"), deren vergebliches Warten auf die Hochzeit mit ihrem Bräutigam - dem neuen Kaiser - eine erhebliche Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes verursacht. Sie bittet aus diesem Grund den Götterboten, beim höchsten Gott Jupiter für sie einzutreten und damit ihre schlimme Lage zu beenden: "So sei ihm auch von einer schoenen Jungfrawe (welche sich Monasteria nennet unnd welcher das wohlriechende Kraenzlein deß Teutschen Friedes vor diesem zusammen gebunden) ein seuffzendes Memorial zugestellet worden/ mit demuetigster Bitte/ daß er bey Ihr[er]. May[es]t[ae]t. dem Jove und seinen Assessorn einen flehentlichen Fußfall thun solte/ dieselbe in ihren gerechten Klagen zuerhoeren/ als eine arme Patientin so mit einem hizigen taeglichen Fieber nunmehr viel Wochen hero/ elendig behafftet/ ohn einige Menschliche Huelffe/ da auch die Medici an ihr verzweifelten/ [...]."
Jeder der anwesenden Götter übernimmt daraufhin die Patronage für einen möglichen Kandidaten (Erzherzog Leopold von Österreich, Kurfürst Ferdinand Maria von Bayern etc.) beziehungsweise eine der am Wahlentscheid direkt oder indirekt beteiligten Machtfaktoren (Frankreich, Österreich, Schweden, Kurfürstentum Bayern etc.), um deren Haltung dem Leser vor Augen zu führen. Welche Meinung der Autor selbst vertritt, lässt sich erst am Ende des Werkes eindeutig herauslesen, als er feststellt: "[...] damit sie ein Koenigl[iches]. Banquet in Bayern moechten anstellen/ vermeinete doch der Gott Bacchus, daß die Weine der Orten viel zu saur/ verursacheten dabey die Cholica und das Brechen/ hingegen das Oesterreicher Gewaechs viel lieblicher/ annehmlicher unnd gesunder sey."

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C) Europabegriff und -vorstellung bei Frischmann

In der Schrift gibt es keine explizite Darlegung des Begriffs "Europa" oder was darunter zu verstehen ist. Der Verfasser lässt seine Leserschaft anhand des Bildes eines personifizierten Götterkonzils lediglich verstehen, dass die anstehende Wahl des römisch-deutschen Kaisers ein Ereignis darstellt, welches durchaus nicht nur das Reich, sondern in seiner Tragweite alle europäischen Mächte von Schweden bis Italien und von Portugal bis Moskau betrifft, so dass eine gewisse geographische bis moralisch-rechtliche (im Sinne einer Wertegemeinschaft) Idee "Europas" zugrunde gelegt werden kann. Bei der noch nicht abgeschlossenen Wahl des neuen Oberhauptes sollten daher nicht ausschließlich persönliche, das heißt reichsinterne, sondern generell alle europäischen Interessen berücksichtigt werden. Was allerdings unter dieser Forderung explizit zu verstehen ist, das bleibt im Wesentlichen im Unklaren.

(rf)

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