Johannes Lassen [1661]

Türcken Macht von Gott verlacht:
Oder/ Kurtzes und wolgemeintes Bedenken/ über den itzt vor Augen schwebenden Türckischen Krieg/ darinnen nicht allein von nützlichen Mitteln/ denselben wol anzufangen/ und glücklich zu enden/ sondern auch von andern hierzu dienlichen Sachen gehandelt wird/ zusambt Beantwortung auf einige Einwürffe/ deren sich etzliche bißhero/ betreffende den jetzigen Krieg/ gebrauchen wollen.
Darinn auch enthalten Eine kurtze Türckische GeschichtBeschreibung von deren Glauben/ Regiment/ Leben/ Kräfften/Stärcke/ Landen und Einkommen.
Sambt angehengten einigen nöhtigen Krieges=Fragen/ deren sich ein Cavalier nützlich zu gebrauchen. In 29. Send=Schreiben.
Nürnberg/ Gedruckt bey Michael Endrer/ A. 1661.

Zitierweise: Josef Köstlbauer: Quellenautopsie "Johannes Lassen (1661)", in: Europabegriffe und Europavorstellungen im 17. Jahrhundert. Web-Projekt, Wolfgang Schmale (Dir.).
https://europaquellen.univie.ac.at/einzelansicht/news/johannes-lassen-1661/

Schlagworte: Christenheit; Deutsches Reich; Krieg; Osmanen; Römisches Reich; Sendschreiben; Türken;

Fundort: ÖNB / BE.6.S.57

A) KurzbiographieB) Beschreibung der Quelle C) Europabegriff und -vorstellung bei Lassen

 

A) Kurzbiographie

Der protestantische Prediger und Gelehrte Johannes Lassen (Lassenius) hatte ein bewegtes Leben hinter sich, als er, zu hohen Ehren gekommen, am 22. August 1692 in Kopenhagen verstarb. Am 26. April 1636 hatte er im pommerschen Waldau das Licht der Welt erblickt. In Danzig und Stettin besuchte er das Gymnasium und studierte ab 1655 an der Universität Rostock. Dort übte besonders der lutherische Gelehrte Dr. Heinrich Müller großen Einfluss auf den jungen Lassen aus. Nach Abschluss des Studiums bereiste Lassen ab 1657 als Haushofmeister eines jungen Adeligen auf Kavalierstour die Niederlande, Frankreich, England, Spanien, Portugal und Italien. Lassen nutzte diese Fahrt, um erfolgreich Kontakte mit den Berühmten und Mächtigen zu knüpfen. So fand er in Paris die Unterstützung Kardinal Mazarins, lernte bei seinem Aufenthalt in England John Milton kennen und gewann in Rom die Gunst des Kardinals Farnesini.
Wieder zurückgekehrt fand er eine Anstellung als Kustos der kurfürstlich-brandenburgischen Bibliothek in Berlin, setzte aber bereits nach einem Jahr seine Studien mithilfe eines kurfürstlichen Stipendiums an den Universitäten Leipzig, Wittenberg und Straßburg fort. In Straßburg erlangte er den Grad eines Magister Artiums und ließ sich anschließend in Nürnberg nieder. Damals entstanden unter anderem die erfolgreichen Schriften "Adeliche Tischreden" (1661/1662), "Bürgerliche Reiß- und Tisch-Reden" (1662/1664) und eben auch "Türcken Macht von Gott verlacht". In Nürnberg begann er als eifriger und wortgewaltiger Gegner der Papisten und insbesondere der Jesuiten zu wirken. Diese Aktivitäten waren es aber, die zum jähen Ende seiner Karriere führten, denn Lassen wurde gefangengenommen, an den Kaiserhof nach Wien gebracht und eingekerkert. Nach seiner erfolgreichen Flucht führte er ein unstetes Wanderleben und verdiente sein Brot unter anderem als Schauspieler in der "Treu'schen Theater-Compagnie".
Im Jahr 1666 bekam er eine Stelle als Prediger und Schulleiter in Itzehoe in Schleswig- Holstein, das damals unter dänischer Hoheit stand. In dieser Zeit führte er mit "Fruchtbringende Gespräch-Spiele" seine weltlich-belehrenden Schriften im Stil der "Tischreden" fort. Sein Ruf als Prediger und Verfasser sowohl weltlicher als auch geistlicher Schriften machte Lassen bald auch in den höchsten Kreisen Dänemarks bekannt und ein steiler Aufstieg begann. Zunächst berief ihn der königliche Statthalter zum Hauptpastor in Barmstadt und Propst der Reichsgrafschaft Rantzau, bevor er 1676 dem wiederholten Ruf des dänischen Königs nach Kopenhagen folgte, wo er als Prediger an die Petrikirche wirkte. Ein Jahr später promovierte Lassen in Theologie an der Universität Greifswald, so dass die Voraussetzungen für seine Professur an der Universität Kopenhagen gegeben waren.
Johannes Lassens Predigten wie die "Handleitungen zur Seligkeit, Darin der hl. Katechismus Lutheri erkläret" (1673), der "Heilige Perlen-Schatz" (1687/1689) oder die "Hl. Moralien über die Evangelien und Episteln" (1698) erschienen teilweise erst lange nach seinem Tod und waren noch im 19. Jahrhundert in vielen Predigtsammlungen zu finden.
Eine weniger nachhaltige Rezeption erfuhren seine weltlichen und gelehrten Texte, zu denen "Idea philosophiae moralis" (1668) oder die anti-jesuitischen "Arcana Politica-Atheistica" (1666) zählen. Dabei war Lassen ebenso sehr Gelehrter wie Kirchenmann, da er besonders die politischen Entwicklungen seiner Zeit verfolgte, sie publizistisch kommentierte und eine der größten Privatbibliotheken des norddeutschen Raumes ("Catalogus Librorum Joh. Lassenii, 1693) aufbaute.

 

Literatur:

  • Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 17, S. 788-790.
  • Neue Deutsche Biographie, Bd. 13, S. 674 f.

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B) Beschreibung der Quelle

Lassens "Türcken Macht von Gott verlacht" entstand aus aktuellem Anlass. Nach fast einem halben Jahrhundert Frieden waren 1661 erneut osmanische Truppen in das nordöstliche Ungarn eingedrungen und kaiserliche Truppen nach Ungarn verlegt worden - eine neue Auseinandersetzung zeichnete sich ab, die im Türkenkrieg von 1663/1664 kulminierte.
Angesichts dieser Entwicklungen veröffentlichte Lassen seine Schrift, die eine vielfältige Sammlung von historischen und politischen Hintergrundinformationen zum damaligen Geschehen verkörpert. Dem Inhalt entsprechend ziert das Frontispiz eine Fanfaren blasende Allegorie des Sieges und zeigt im Hintergrund eine Schlachtenszene, die den Sieg eines christlichen über ein osmanisches Heer darstellt. Das Werk umfasst insgesamt 308 Seiten, wobei dem Hauptteil eine Widmung und ein Vorwort ("Zuschrift") vorangestellt sind.
In der Widmung wird Lassens Stellung als Neuankömmling in Nürnberg deutlich ("so ich bißhero als ein Ausländer/ in dero gesegneten und florisanten Respubliq") und er bedankt sich bei den vier Widmungsempfängern (Burckhard Löffelholz von Colberg, Leonhard Grundherr, Georg Paulus Im Hof, Andreas Georg Baumgartner von Hollenstein) für die ihm zuteil gewordene Unterstützung.
Den Hauptteil bilden 29 sogenannte "Send=Schreiben", eine fiktive Serie von Briefen, in denen der Autor seine Meinung in Bezug auf allerlei Fragen zu dem drohenden Türkenkrieg kundtut. Dabei sieht Lassen die politische Situation von drei Faktoren bestimmt:

1) die Bedrohung der Christenheit durch die Gottesgeißel Osmanen.
2) der Antagonismus zwischen den europäischen Mächten Frankreich und dem Heiligen Römischen Reich (bzw. "Teutschland").
3) die konfessionelle Spaltung zwischen Katholiken und Protestanten im Reich.

Die osmanische Bedrohung, die "Türcken", führt das Werk ja schon im Titel. In der Opferrolle sieht Lassen natürlich die gesamte Christenheit, insbesondere aber "Teutschland". Das macht der Autor bereits in der "Zuschrift" deutlich: Der "Türcke" will "den äußersten Untergang der Christenheit/ absonderlich aber des Teutschen Landes" und es geht darum "das bishero hochgestiegene Teutschland/ von dem immerwehrenden Haß des widrigen Feindes zu befreyen". Das osmanische Reich erscheint aber nicht als autonomer Aggressor, sondern vielmehr als göttliches Instrument, eingesetzt, um das sündhafte Teutschland zu züchtigen: "Kriege anders nicht seyn/ als Straffen unserer Sünden/ und die Krieger instrumenta dadurch der erzürnte Gott/ uns aus wolverdienter Rache abstraffet und züchtiget."
Diese Sündhaftigkeit besteht vor allem in der Uneinigkeit der deutschen Fürsten und der konfessionellen Spaltung des Reiches. Verständlich wird diese Sicht der Dinge vor dem politischen Hintergrund jener Zeit. Nach dem Dreißigjährigen Krieg war es Frankreich gelungen, seinen Einfluss auf die Reichspolitik beständig auszuweiten und 1658 schloss es mit einer Reihe deutscher Fürsten die "Rheinische Allianz", was eine entscheidende Schwächung der kaiserlichen Position im Reich bedeutete. Im Zusammenhang mit einem möglichen Türkenkrieg war das insofern von großer Bedeutung, als Frankreich und die Hohe Pforte durchaus freundschaftliche Kontakte unterhielten, was vom Kaiser nur als Bedrohung gesehen werden konnte, weil die habsburgischen Erbländer der größten Gefahr ausgesetzt waren. So schreibt Lassen mit Blick auf den französischen König: "Ich erinnere mich gleich jetzo/ was einsmals/ ein vornehmer Herr/ der ein Christ seyn wollen/ gesaget/ da es ihme etwas contrar ginge. Es dörffte umb weniges fehlen/ er lasse seinen grossen Hund los/ welchen er an der Ketten hätte/ den Türckischen Käiser meinende."
Gleichzeitig erachtet Lassen das Reich als stark genug, den Osmanen allein zu widerstehen, sofern nur die deutschen Fürsten zusammenstünden: "Teutschland ist groß und mächtig genug/ ihm zu widerstehen/ und mangelt an nichts/ als nur an Einigkeit/ der Christlichen Potentaten". Er sieht im Türkenkrieg sogar eine Möglichkeit diese Einigkeit wiederherzustellen: "Diese Einigkeit aber unter den Christl. Potentaten/ würde nicht besser befördert werden/ als wann man bey dem Türcken-Krieg allein verbliebe". Auch das ist eine Anspielung auf Frankreich, denn Ludwig XIV., der in Konkurrenz zum Kaiser als der eigentliche Beschützer der (katholischen) Christenheit auftrat, bot Leopold I. französische Truppen an. Tatsächlich sollte dann bei der Schlacht von St. Gotthard/Mogersdorf (1664) ein französisches Freiwilligen-Kontingent an der Seite der Reichsverbände kämpfen. Das gesamte 23. Sendschreiben ist der Auflistung der Nachteile der Unterstützung durch ausländische Truppen gewidmet, wobei der Autor Beispiele von der Antike bis in die Gegenwart anführt, um seine Position zu untermauern.
Die konfessionelle Frage tritt in der Quelle ebenfalls zutage. Der Lutheraner Lassen argumentiert nicht zuletzt für ein alleiniges Vorgehen "Teutschlands" gegen die Osmanen, weil er in einem universalen katholischen Unternehmen die Gefahr einer Vertiefung des konfessionellen Grabens im Reich sieht: "Diese Einigkeit aber unter den Christl. Potentaten/ würde nicht besser befördert werden/ als wann man bey dem Türcken-Krieg allein verbliebe/ und aus demselben nicht ein Religions-Krieg machte/ daß man einen jeglichen bey seiner Religion liesse/ denn da ehret und lobet ja/ (Gottlob) heutiges Tages ein jeglicher in Teutschland den waaren Gott/ er sey gleich dieser oder jener Partey zugethan/ und bleibet waar/ daß nichts ie Gemüter der Völcker besser miteinander verbünde/ als die Einigkeit des Glaubens/ wo ja nicht Einstimmigkeit/ dannoch/ daß einer den anderen nicht verdamme oder verwerffe."
Die Besorgnis um die Auswirkungen der politischen Konstellation auf die Reformation zeigt sich auch in seinem Versuch, den Vorwurf zu entkräften, dass die protestantischen Stände Ungarns den Kaiser nicht genügend unterstützten. Er tut dies elegant auf indirektem Wege im 12. Sendschreiben, wo er erklärt, der Kaiser wäre nie so unmoralisch, seine Truppen gegen die ungarischen Stände einzusetzen.
Neben diesen immer wiederkehrenden Themen setzt sich Lassen auch mit historischen und militärischen Fragen auseinander. So schreibt er über den Ursprung der Türken und ihres Namens, über Organisation, Macht und Reichtum des türkischen Reiches, oder beschäftigt sich mit der Frage, ob mit dem Mythos von Gog und Magog die Türken gemeint sind. Des weiteren gibt die Quelle Auskunft, "ob es einem Cavalier rühmlich" ist, einmal vor einem überlegenen Feind die Flucht zu ergreifen, über gemeinhin vor Kriegen sichtbaren Zeichen, "von der Gütigkeit eines Kriegs=Officier gegen seine Soldaten", wie man sich bei Einnahem einer Stadt zu verhalten hat und dergleichen mehr.
Bemerkenswert erscheint, neben der breiten Streuung der Themen, der oftmalige Rekurs auf Beispiele aus der biblischen Geschichte und der Antike, in denen sich die Gelehrsamkeit des Autors manifestiert.

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C) Europabegriff und -vorstellung bei Lassen

In der Quelle wird der Begriff "Europa" explizit nur als geographische Bezeichnung gebraucht. "[...] diese Einkommen tragen ihm seine grosse und mächtige Ländereien/ derer er viel und herrliche Königreiche und Insulen/ in Europa, Asia und Africa besitzet."
Es folgt eine ausführliche Aufzählung: "[...] so ist gewiß/ daß der Türckische Kaiser in Europa alles dasselbe besitze/ was vor diesen die Griechischen Käiser ingehabt/ als die Peninsulam Moream, welche in ihren Umbkreiß 120 teutsche Meilen begreifft. Achajam, dessen Haubtstadt Nepanto. Atticam, darinn die vor diesem berühmte Stadt Athen gestanden/ davon aber kaum die Rudera mehr zu kennen. Thessaliam, Epirum, Albaniam, darinn die Haubtstadt Croja, so vor diesem/ dem tapfern Skanderbeg zugehöret. Macedoniam. So vor dem Philippi und seines Sohnes Alexandri Magni gewesen/ darinn die Haubtstadt Thescalonica ist. Romaniam, darinn die Haubstadt Constantinopel liget/ welche sie heutigen Tages in ihrer Sprache Stam poldam nennen/ in welchem Käiserthums auch gelegen seyn/ die herrlichen Städte/ Adrianopel, Philippopel/ Trajanopel und Nicopel. Bulgariam darinn die Haubtstadt Ternova ist. Serviam darinn Griechisch Weissenburg gelegen: Rasojam; an der Thonau die Vestung Belgrath. Bosniam, Croaciam, darinn er die Stadt Obroazo besitzet/ Ungariam, darinn er ie Haubtstadt Ofen innen hat. So gehören auch zu Europa alle Insulen in Archipelago als Lemnos, Lesbus, Negropente, Stalimene, Milo, Stampalia, Nisia, Morgo und andere/ so alle unter dem Türckischen Gebiet seyn. Uber dieses sind ihm Zins und Zollbar der Fürst in der Wallachey/ Moldau und Siebenbürgen."
"Europa" erscheint hier lediglich als Bühne verschiedener Mächte, zu denen eben auch die Osmanen zählen. Vielsagend ist aber doch der Verweis auf die "Griechischen" Kaiser, denn Europa definiert sich damit nicht nur durch seine geographischen Grenze, sondern auch durch eine gemeinsame römische Vergangenheit. Dazu passend merkt Lassen an anderer Stelle an, dass die Türken behaupten, von den Trojanern abzustammen und aufgrund dieser Herkunft Anspruch auf das Römische Reich erheben.
Es erfolgt keine Gleichsetzung Europas mit der Christenheit und auch keine Verknüpfung zwischen dem Europabegriff und spezifischen (christlichen) Tugenden. Zwar spricht der Autor oft von der Christenheit und von "Teutschland" sowie ihrer Zerrissenheit und Bedrohtheit durch die Türken bzw. den diese lenkenden göttlichen Zorn, aber das Bild "Europas" als christlicher Kontinent taucht nicht auf.

(jk)

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