Lucius Apronius [1656]

Lucii Apronii Roemisch-Ritters Denck-Sprueche
Itziger Fuernehmsten Potentaten und Herrn In Evropa.
Die so da am minsten befraget werden/ pflaegen gemeinlich ihr Gutdüncken am ersten beyzutragen. Barcl. Argen. lib. I.
[s. l.] Anno. Da es eIn seLtzaMes sChlechtes aVssehen hatte. [1656]

Zitierweise: Rolf Felbinger: Quellenautopsie "Lucius Apronius (1656)", in: Europabegriffe und Europavorstellungen im 17. Jahrhundert. Web-Projekt, Wolfgang Schmale (Dir.).
https://europaquellen.univie.ac.at/einzelansicht/news/lucius-apronius-1656/

Schlagworte: Denksprüche; Potentaten; Völker; Volkscharakter; Weltteil;

Fundort: ÖNB / 38018-B Alt Mag

A) KurzbiographieB) Beschreibung der Quelle C) Europabegriff und -vorstellung bei Apronius

A) Kurzbiographie

[Das Pseudonym "Lucius Apronius", das in verschiedenen Nachschlagewerken aufgeführt wird, konnte in der Forschung bisher nicht zugeordnet werden. Aus dem Widmungsvermerk der behandelten Quelle kann aber abgeleitet werden, dass der Verfasser entweder aus dem Kurfürstentum Brandenburg oder Sachsen stammt bzw. sich dort zur Zeit der Niederschrift im Umfeld von Georg Heinrich von Bernstein, Stiftsherr in Magdeburg und Naumburg, aufgehalten hat. Darüber hinaus wurde das Pseudonym nur noch einmal - in Verbindung mit der im gleichen Jahr herausgegebenen lateinischen Ausgabe der Sentenzen-Sammlung ("Observationes magnatum Europae") - verwendet.]

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B) Beschreibung der Quelle

Die 32 Seiten umfassende, unpaginierte Sammlung "Denck-Sprueche Itziger Fuernehmsten Potentaten und Herrn In Evropa" erscheint ohne Angabe eines Druckortes oder Nennung des Verlegers. Das Erscheinungsdatum lässt sich anhand eines Chronogramms ("Da es eIn seLtzaMes sChlechtes aVssehen hatte"; Hervorhebung. d. Verf.) auf dem Titelblatt mit dem Jahr 1656 ansetzen. Die mit schlichten Mitteln (Papier- und Druckqualität, Dekorelemente) hergestellte Quelle umfasst neben dem Titelblatt eine Widmungsseite ("Dem hochwuerdigen hochEdelgebornen Gestrengen und Besten Herrn [...] Georg Heinrich von Bernstein/ Der Primat Ertzbischoefflich hohen StifftsKirchen zu Magdeburg Dombdechant/ wie auch der hohen StifftsKirchen zu Naumburg Subsenioren Erbherrn uff grossen Helmstorff. Meinem Insonders hochgeneigten Herrn und hochwerten Patronen."), ein Vorwort ("An den Leser."), eine Vorrede, sowie die eigentliche Spruchsammlung, die insgesamt 36 Zitate enthält. Aus dem Vorwort ist dabei zu erfahren, dass die "Denck-Sprueche" zum allgemeinen Nutzen des Publikums, der Verbesserung seiner Bildung, sowie seiner lückenlosen Versorgung mit wichtigen Nachrichten dienen soll. In diesem Zusammenhang betont der Autor, dass er aus Liebe zum Vaterland alle Sinnsprüche einheitlich in die deutsche Sprache übersetzt wiedergegeben hat.
Der formale Aufbau der Sammlung folgt einem Muster, das erst gegen Ende der Schrift zunehmend aufgegeben wird. Zunächst nennt Apronius den Urheber des Ausspruches und gibt in Fettdruck den eigentlichen "Denck-Spruch" wieder, bevor er mit ziemlich weitläufigen Erklärungen und Kommentaren zu seiner versprochenen "Bildungsaufgabe" ansetzt. Nur in den wenigsten Fällen ordnet er die Zitate konkreten Personen wie etwa der schwedischen "Koeniginne Christina" zu, denn in der Regel wird lediglich auf Standes- und Amtstitel ("Der Schwedische Koenig", "Der Saechsische Churfuerst" usw.) oder auf Personifikationen von Ländern und Städten, abstrakten und symbolhaften Begriffen ("Engelland", "Saechsische Leich", "Das Glueck" usw.) verwiesen. Zur glaubhaften Unterstützung seiner Ausführungen bedient sich Apronius fast fortwährend einer Reihe von antiken Autoren (Caesar, Seneca, Tacitus etc.), die er in schneller Abfolge am Rand des Textes aufführt. Dadurch entsteht der - wohl beabsichtigte - Eindruck, dass der Autor, der sich letztlich auch eines altrömischen Pseudonyms bedient, in der Tradition antiker Gelehrsamkeit steht bzw. eingeordnet werden muss. Im letzten Drittel ändert sich diese formale Struktur und die Zitate werden nur noch unkommentiert abgedruckt. Insgesamt fällt auf, dass die verwendeten "Denck-Sprueche" zumeist in Hinblick auf die augenblickliche Situation in Europa ausgewählt wurden.

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C) Europabegriff und -vorstellung bei Apronius

Lucius Apronius betont, sich in seinem Sammelwerk mit "fast ganz Europam" beschäftigen zu wollen. Seine aufgeführten "Denck-Sprueche" stammen aus dem Deutsch-Römischen Reich (Kaiser und Reichsfürsten), Italien (Neapel-Sizilien, Venedig, Papsttum), Frankreich, Spanien, England, den Niederlanden, Dänemark, Schweden, Polen, Ungarn sowie dem "Mußkowiter- und Tuerckenreich". Lokale Schwerpunkte der Zitatensammlung sind dabei einerseits im polnisch-schwedischen, und andererseits im brandenburgisch-sächsischen Raum zu setzen, was sich wohl durch den aktuellen polnisch-schwedischen Konflikt und die Herkunft bzw. Niederlassung des Autors erklären lässt.
Auf der einen Seite scheint Apronius unter dem Begriff "Europa" einen Weltteil zu verstehen, der durch die Addition aller seiner Völker definiert ist, doch macht er auf der anderen Seite keine klaren Aussagen über die geographischen Grenzen des Kontinents. Vor allem im Hinblick auf das Herrschaftsgebiet des russischen Zaren und auf das Osmanische Reich, dessen ursprünglich asiatische Wurzeln in seinen Augen viele Eigenheiten erklären, bleibt Apronius vage. Beide Reiche zählt er dennoch ohne Zweifel zu "Europa", obwohl die Schilderungen des "mußkowitischen"/russischen und des "tuerckischen" Volkscharakters von Klischees und Unwissenheit geprägt sind.
Was die Untertanen Moskaus betrifft, so erscheint ihm vor allem deren überaus sklavische Untergebenheit fremdartig und suspekt: "([Zitat eines] Mußkowiter[s].) Bey mir ist eintzig un[d] allein die Oberherrschafft und ohne dem Gehorsam meinen Unterssassen [Untertanen; Anm. d. Verf.] nichtes geblieben." Diesen angeblichen Ausspruch führt Apronius an, um zu zeigen, "daß auch die fuernehmsten Bajaren oder Moskowitischen ReichsFuersten/ sich Ihrer Zahr Majestaet unterthaenigste Schlaven/ schreiben und ruehmen/ auch die uebrigen geringen Dienstleute/ wann sie zuweilen von ihren Herren frey gelassen werden/ sich doch nichts so embsig angelegen seyn lassen/ als wie sich wiederumb in eine noch schmaehelichere Dienstbarkeit verkauffen moegen/ [...]."
Die Schilderung der "tuerckischen Voelcker-Art" trägt dahingegen einen aggressiveren Ton, der sich bei Apronius eher aus dem traditionellen Konflikt zwischen dem Deutsch-Römischen Kaiserreich und dem osmanischen Sultanat und weniger aus der bloßen Unterschiedlichkeit der Religionen speist: "([Zitat eines] Tuercke[n].) Die gelinde Sanfftmuth scheuwet sich bey grausamen Leuten finden zu lassen/". Deswegen sind die "Tuercken so ein wuestes Volck und nur gleichsam Stete Kunst und Wissenschafften zu zerstoeren geboren scheinen/ seind bißanhero mehr durch unsere Laster/ als eigenem Wolverhalten gluecklich gewesen/ Ihr erster Ursprung ruehret aus dem Schytenlande her/ so anitzo Tartarien zugenahmet wird/ von da sie/ [...] in Persien gegangen/ und das Theil Asiens verhäret/ so vormalen fuer das koestlichste geruehmet worden: Nachmals wie sie von dem Amurathe in Europa ueberbracht/ ist Ihnen der Sitz der Musen das gelährte Griechenland zu theile geworden/ seind hierauff durch unser Uneinigkeit gereitzet/ erstlich in Pannonien drauff [...] in Oesterreich biß gar an Wien gerücket/ haben biß anhero durch ihrer rauen Geburts Art sich aller Freundsinligkeit erweret/ und seind in ihrer Vorfaren/ gleichsam von selben angeerbeten/ Grausamkeit verbleiben/ dass dannenhero hoechlich zu verwunderen/ dass unter einer freundlichen Himmels Lufft/ so abscheuliche Voelcker Arten leben koennen."
Die Tatsache, dass die eigentlich aus Asien stammenden Türken nun, in der Mitte des 17. Jahrhunderts, zu Europa zu zählen sind, ist nach diesen Ausführungen das Resultat eines historischen Prozesses, das sich die "lasterhaften" - wohl im Sinne von kriegerisch, uneinig oder zerstritten zu charakterisierenden - Ursprungs-Europäer selbst zuzuschreiben haben. Aussagen, Erläuterungen oder andere Zitate, wie sich etwa die Zukunft der europäischen Volksgemeinschaft gestalten könnte, werden aber nicht angeführt.

(rf)

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