Martin Meyer [1659]

Philemeri Irenici Elisii
Diarium Europaeum insertis actis electoriis
Oder Kurtze Beschreibung Denckwürdigster Sachen/ So sich in Fried= und Kriegs=Geschäfften in Europa/ fürnemlich aber in dem Heil. Röm. Reich/ und demselben nahe angrentzenden Königreichen/ Landen und Herrschafften; Insonderheit aber bey dem zu Franckfurt fürgewesenen Röm. Königl. Wahl= und Krönungs=Tage vom Jahr 1657. biß ins Jahr 1659. begeben haben. [Bd. 1]
Getruckt im Jahr Christi M. DC. LIX.

Zitierweise: Josef Köstlbauer: Quellenautopsie "Martin Meyer (1659)", in: Europabegriffe und Europavorstellungen im 17. Jahrhundert. Web-Projekt, Wolfgang Schmale (Dir.).
https://europaquellen.univie.ac.at/einzelansicht/news/martin-meyer-1659/

Schlagworte: Chronik; Geschichtserzählung; Mächtesystem; Nachrichten; Wissenschaft;

Fundort: UBW / I 239.835

A) KurzbiographieB) Beschreibung der Quelle C) Europabegriff und -vorstellung im Diarium Europaeum

 

A) Kurzbiographie

Philemerus Irenicus Elisius ist das Pseudonym des Literaten, Historikers und Übersetzers Martin Meyer (auch Meier, Meurer, Mayer). Über Meyers Lebensweg existieren kaum Aufzeichnungen. Er stammte nach eigenen Angaben aus Haynau in Schlesien. In der Widmung seines Werkes "Ortelius redivivus et continuatus" erwähnt er, in Liegnitz die von M. Theophilus Pitiscus geleitete Stadtschule besucht zu haben. Aufgrund dieser Angaben kann angenommen werden, dass Meyer um 1630 geboren wurde. Spätestens ab 1660 wirkte er in Frankfurt am Main, denn im damals erscheinenden zweiten Band des "Diarium Europaeum" ist erstmals der Frankfurter Verlag Ammon und Serlin angegeben. Soweit bekannt hatte Meyer nie ein öffentliches Amt inne, er bezeichnete sich selbst als "philologiae et historiae studiosus". Diese Selbstbeschreibung ist durchaus zutreffend, denn bei seinen Werken handelt es sich ausnahmslos um Chroniken, kommentierte Kompilationen und Berichte. Neben dem "Diarium Europaeum" sind heute folgende Meyer zuzuschreibende Werke bekannt:

  • "Ortelius redivivus et continuatus oder Beschreibung der Ungarischen Kriegsempörungen.", 2 Bde., Frankfurt a. M./Nürnberg 1665.
  • "Theatrum Europaeum", Bd. 8, Frankfurt a. M. 1667. (=Irenico-Polemographiae Continuatio 1)
  • "Londorpius suppletus et redivivus.", 4 Bde., Frankfurt a. M. 1665-1667.
  • "Gottfried Schultzens zum zweytenmale continuirte historische Chronica [...]", Frankfurt a. M. 1671.

Außerdem erschien zwischen 1660 und 1661 im Verlag Ammon und Serlin die "Europäische Geschichtserzählung" von Meyer, bei der es sich aber um eine überarbeitete Neuauflage der ersten Teile des "Diarium Europaeum" handeln dürfte. Im Vorwort des ersten Teiles des Diarium erwähnt Meyer ein von ihm verfasstes Vorläuferwerk, die "Actorum & gestorum Sueco-Polonicorum Semestrale", das die schwedisch-polnischen Kriegshandlungen von 1655-56 beschreibt. Diese anonym in Frankfurt im Jahr 1657 erschienene Schrift kann damit eindeutig Martin Meyer zugeordnet werden.
Neben seiner Tätigkeit als Autor dürfte Meyer vor allem als Übersetzer tätig gewesen sein. In diesem Zusammenhang ist etwa der Reisebericht "Johann Sommers See- und Land-Reyß nach der Levante" (Frankfurt a. M./Zweibrücken 1664) des Holländers Jan Somer zu erwähnen.
Da der zwanzigste Band des "Diarium Europaeum" nicht mehr das Pseudonym Elisius trägt und auch sonst von Meyer keine Schriften jüngeren Datums mehr bekannt sind, ist zu vermuten, dass er 1669/70 verstarb.

 

Literatur:

  • Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 21, S. 610-611.
  • IBN - Index Bio- Bibliographicus Notorum Hominum, Bd. 63, S. 732.
  • Nationalbibliographie 17. Jahrhundert (http://www.vd17.de)

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B) Beschreibung der Quelle

Das "Diarium Europaeum" erschien kontinuierlich 34 Jahre lang, von 1659 bis 1683, und umfasste zum Zeitpunkt seiner Einstellung 45 Bände. Im ersten und zweiten Band sind Druckort und Verleger nicht angegeben, der dritte Band aber nennt den Verlag Johann Wilhelm Ammon und Wilhelm Serlin in Frankfurt am Main. Ab 1662 scheint nur noch der Name Serlin auf und nach dessen Tod übernahm seine Witwe die Herausgeberschaft ( Band 30 ff., 1675 ff.). Ab dem zweiten Band lautet der Titel "Philemeri Irenici Elisii Continuatio (I, II, III, ...) Diarii Europaei (...). Das ist: Täglicher Geschichts=Erzählung (2., 3., 4. ...) Theil."
Dieses beinahe schon monumental zu nennende Werk lässt sich am besten mit den Worten seines ursprünglichen Autors Martin Meyer als "tägliche Geschichts=Erzählung" charakterisieren, in der sämtliche nennenswerte Ereignisse vom Jänner 1657 bis zum Dezember 1681 Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat aufgelistet und beschrieben werden. Im Vorwort zum ersten Band erklärt der Autor, sein Diarium richte sich an den "Geschicht=liebenden Leser", "zu Vermehrung der Geschichten Wissenschaft/ Belustigung des Gemühts/ und Verkürtzung der Zeit". Das Diarium vereint also in sich die Funktionen einer Chronik und eines Nachrichtenmagazins, da aktuelle oder rezente Ereignisse einerseits veröffentlicht und andererseits zwischen den Buchdeckeln für die Nachwelt archiviert werden. Dem Leser bietet sich eine Fülle an Inhalten: "Vornehme und wichtige Reichs=Sachen und Handlungen" werden ebenso beschrieben wie der Verlauf von Feldzügen, Schlachten und Scharmützeln, Belagerungen und Plünderungen von Städten, Schlössern und Festungen. Dabei werden vor allem Mannschaftsstärken und Verluste der beteiligten Parteien minutiös festgehalten. Aber auch Gesellschaftsmeldungen über Ernennungen, Gesandtschaftsantritte, Teilnehmer von Reichstagen, Heiraten und Mesalliancen, Todesfälle, Kleiderordnungen, Straftaten, Urteile und Exekutionen fehlen nicht. Ein eher kurioses Beispiel ist etwa die Beschreibung des Raubüberfalles auf einen Pagen des französischen Botschafters in Warschau in einer Februarnacht des Jahres 1681. Zusätzlich steht in den ersten Bänden am Ende jeden Monats eine kurze Zusammenfassung und Beurteilung der wesentlichen Ereignisse.
Sowohl in die chronologische Berichterstattung eingestreut, als auch in umfangreichen Appendices am Ende der Bände zusammengefasst sind zahlreiche Texte aus allen Teilen Europas, die nahezu das gesamte Spektrum neuzeitlicher Schriftlichkeit umfassen: Verträge, Korrespondenzen, Berichte, Herrschergenealogien, Traktate und Diskurse, Sonette, Gebete, juristische Gutachten etc. So finden sich etwa im Appendix des 45. Bandes (1683) unter anderem Beispiele der damals beliebten Türkenschriften wie "Der Ottomanische Welt=Hammer" und "Letzte (Türcken) Posaun über Teutschlandt", oder ein Abdruck der an Auswanderungswillige und Investoren gerichteten Werbeschrift von "Nachricht wegen der Landschafft Pennsilvania" von William Penn. Dazu kommt der fiktive Diskurs "Vernünftige Unterredung zween vertrauter Freunde", die ebenfalls den aktuellen Türkenkrieg zum Thema hat, und die "Historische Ordnung und Nachfolge der Könige in Schweden kurz nach der Sündfluth an/ biß auff diese Zeit".
Ursprünglich in fremden Sprachen verfasste Schriften sind ausnahmslos übersetzt. Was das Diarium dabei zu einer besonders wertvollen Quelle erhebt ist der Umstand, dass sich die Verleger in vielen Fällen die Mühe machten, Originaltext und Übersetzung neben- oder nacheinander abzudrucken. Erstens weist dies ganz deutlich auf die Intention des Autors hin, einen Bildungsauftrag gegenüber seinem Publikum wahrzunehmen, indem auch einer weniger gelehrten Leserschaft Dokumente von Bedeutung zugänglich gemacht werden und zweitens drückt sich in der Gegenüberstellung von Original und Übersetzung eine Auffassung von (Geschichts-)Wissenschaft aus, die ihre Mission in der redlichen Wiedergabe sieht und sich mehr der Archivierung und Edition, als der Interpretation verpflichtet fühlt. Dazu kommt noch eine gewisse Besorgnis über die Integration fremdsprachiger Wendungen in die deutsche Sprache, der der Autor im Vorwort zum ersten Band Ausdruck verleiht ("in unsere rechte eygendliche/ nicht aber heutige allamodische und mit ausländischen Wörtern beschmitzte deutsche Sprach zu übersetzen"). In allen Bänden ist außerdem vielfältiges Bildmaterial enthalten, das Herrscherporträts, Stadtansichten, Karten, Darstellungen von Schlachten und Belagerungen, Festungspläne sowie die Abbildung verschiedenster denkwürdiger Ereignisse umfasst.
Wie bei einer kontinuierlichen Publikation über einen derart langen Zeitraum nicht anders zu erwarten, durchläuft die inhaltliche Organisation des Diariums im Lauf der Jahre verschiedene Mutationen. Während der erste Band noch ein umfangreiches, chronologisch organisiertes Inhaltsverzeichnis aufweist, verfügen spätere Bände stattdessen über ein alphabetisches Schlagwortregister. Diese sind manchmal voran-, manchmal nachgestellt.
Grundsätzlich ist festzustellen, dass nach den ersten 19, noch von Martin Meyer selbst redaktionell betreuten Bänden der eigentliche Kern des Diariums, die Chronik, zunehmend zugunsten des Abdruckes eigenständiger Texte vernachlässigt wurde. Im 27. Band (1673) fehlt die tägliche Geschichtserzählung völlig und wird erst im 30. Band wieder aufgenommen. Damals übernahm die Witwe Serlin den Verlag und es kam zu einer Reform des Diariums. Entsprechend wurde eine parallele Bandzählung eingeführt ("30. Theil der täglichen Geschichts=Erzählung (...) oder deß neu=eingerichteten Diarii Europaei Erster Theil"). Diese Nomenklatur setzt sich bis zum letzten Band fort. Die Chronik wurde erneut aufgenommen, und nicht nur chronologisch, sondern zusätzlich innerhalb der Monate nach Ländern organisiert. Außerdem gibt es wieder ein alphabetisches Schlagwortregister und ein eigenes Inhaltsverzeichnis für den Appendix.
In allen Bänden anzutreffende chronologische Inkonsistenzen, besonders in den oft chaotischen Appendices, sind auf die besonderen logistischen Schwierigkeiten in der Kompilation eines derartigen Werkes zurückzuführen. Redaktion, Verlag und Druckerei hatten offensichtlich mit nicht eingehaltenen Abgabeterminen sowie Mangel oder Überfülle an berichtenswerten Ereignissen zu kämpfen. Diesbezügliche Hinweise oder Entschuldigungen sind in vielen Teilen des Diariums anzutreffen, z. B. "Was die in dem Appendice oder Anhang enthaltene Memorialien und Schriften betrifft/ hätte man damit/ der Zeit nach/ zwar gern eine bessere Ordnung gehalten/ es ist aber solches/ weil dieselbe gantz ungleich eingeschickt worden/ für diesmal/ wegen Kürtze der Zeit/ eine Unmöglichkeit gewesen."
Trotz dem oft chaotisch erscheinenden Nebeneinander von Nachrichten und Texten verschiedenster Provenienz und Qualität ist das "Diarium Europaeum" in mehrfacher Hinsicht eine faszinierende historische Quelle. Einerseits ist hier eine Unzahl politischer und gesellschaftlicher Ereignisse und Aktivitäten im Detail festgehalten, andererseits wird das breite Spektrum der Wahrnehmungswelten in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts dokumentiert.

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C) Europabegriff und -vorstellung im Diarium Europaeum

Das "Diarium Europaeum" ist tatsächlich ein "europäisches" Tagebuch, versammelt es doch in seinen 45 Bänden Nachrichten aus allen Ländern und Reichen des Kontinents. Reflexionen oder Ausführungen zu dem Begriff von Seiten des Autors oder Herausgebers fehlen jedoch und so kann nur implizit auf die zugrundeliegende Europavorstellung geschlossen werden. Demnach wird Europa von allen jenen Ländern und Reichen gebildet, die im Diarium Erwähnung finden. Das sind neben Frankreich, England, Spanien und den Staaten des Heiligen Römischen Reiches die skandinavischen Königreiche, Polen, Italien aber auch Russland (noch als "Moskowiterreich" bezeichnet) und das Osmanische Reich. Europa ist dabei mehr als das Ergebnis einer schlichten Addition, es ist jenes politische System, das all diese Gebiete oder Staaten verknüpft und das von der Konkurrenz der Mächte (Frankreich-Habsburg, Schweden-Dänemark-Russland, Osmanen-Habsburg etc.) und dem Streben nach Balance geprägt ist. Ein Großteil der Meldungen im Diarium ist gerade den Vorgängen in diesem System gewidmet, von Kriegen bis zu Bündnissen und dem Austausch von Gesandtschaften. In diesem Sinne ist es auch nicht erstaunlich, dass das Osmanische Reich vorbehaltlos Europa zugerechnet wird. Als der zweite große Antagonist des Habsburgerreiches neben Frankreich ist die Hohe Pforte eine Macht ersten Ranges im europäischen System.
Dass dieses System als solches in der Quelle nicht zum Gegenstand der Betrachtung erhoben wird liegt in erster Linie daran, dass es den täglichen Erfahrungshintergrund bildet, sozusagen unsichtbar ist. Dazu kommt die Eigenart dieser Quelle, die relativ unterschiedslos Ereignisse der jüngsten Vergangenheit aneinander reiht, ohne sich lange mit Kommentaren abzugeben. Auch die im Diarium abgedruckten Traktate und Diskurse, die von verschiedenen, in der Regel anonym bleibenden Autoren stammen, befassen sich nicht mit dem Thema Europa an sich. Zum Beispiel verweist bei der in Band 45 enthaltenen Schrift "Neu eröffnetes geheimes Staats-Cabinet/ der europäischen Welt" schon der Titel unmissverständlich auf die primär politische Dimension des Europabegriffes.

(jk)

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