Matthias Rittershausen [1601]

Matthias Rittershausen:
Annales rervm evropicarvm vertentis proximi secvli M. DC. in qvatvor partes commodioris vsus gratia distributi. Alls nemlich: I. Was sich in Geistlichen/ Politischen und Kriegssachen durch Europam, und in sonderheit in Hoch: und Nider Teutschland am Rheinstrom umb und bey Cöllen/ Item in Holland/ Seeland/ Engelland. II. In Osterreich/ Hungern/ Behem/ Siebenbürgen/ Walachia/ Moldau/ und theils in der Schlesien/ Polen/ Preussen/ und Schweden. III. In Hispania/ Franckreich/ Italia/ Sabaudia/ oder Sauoia/ auch an etlichen Orten in der Türckey/ u. IV. Sodann sonsten an unterschiedlichen Orten Teutschen Landes/ besonders gedenckwürdig deß entwichenen M. DC. und dieses scheinendes M. DCI. Jars/ biß auff die Fastenmeß/ von Monaten zu Monaten dem neuen Calender nach wahrhafftig zugetragen hat. Colligiert und zusammen getragen/ durch Matthiam Rittershusium Brunsuicensem.
Getruckt zu Franckfurt am Mayn/ durch Johann Saurn, Anno M. DCI.

Zitierweise: Alexander Wilckens: Quellenautopsie "Matthias Rittershausen (1601)" in: Europabegriffe und Europavorstellungen im 17. Jahrhundert. Web-Projekt, Wolfgang Schmale (Dir.). https://europaquellen.univie.ac.at/einzelansicht/news/matthias-rittershausen-1601-1/

Schlagworte: Christenheit; Messrelation;

Fundort: ÖNB / 52.D.39

A) KurzbiographieB) Beschreibung der Quelle C) Europabegriff und -vorstellung bei Rittershausen

 

A) Kurzbiographie

Über Matthias Rittershausen (auch Rittershusius) sind keine Lebensangaben überliefert. Er wird nur in Bezug auf das hier behandelte Werk im Jahr 1601 erwähnt und bei Jöcher als Historiker bezeichnet. Weitere Angaben sind nicht nachweisbar.

 

Literatur:

  • Bender, Klaus: Relationes historicae. Ein Bestandsverzeichnis der deutschen Meßrelationen von 1583 bis 1648. Zusammengestellt und eingeleitet von Klaus Bender, Berlin 1994 (=Beiträge zur Kommunikationsgeschichte, Bd. 2), Nr. 142, S. 64.
  • Rotermund, Heinrich Wilhelm: Allgemeines Gelehrten-Lexikon, Ergänzungsband 7 (Rin-Rom), Leipzig 1897, Neudr. 1961, S. 69. [Jöcher: Allgemeines Gelehrten-Lexikon]

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B) Beschreibung der Quelle

Bei der Quelle handelt es sich um eine Messrelation, die der Verfasser im Frühjahr 1601 zur Frankfurter Messe einem möglichst breiten Leserkreis vorlegte. Der Duodezband, der sich auf 4 Blätter und 125 Seiten erstreckt, deckt die Berichtszeit von Januar 1600 bis März 1601 ab. Er ist in vier unterschiedlich lange Teile aufgeteilt, denen eine 6 Seiten lange Vorrede vorangestellt ist, die sich "An der Geschichtshistorien Liebhaber" richtet. Hier kritisiert Rittershausen zunächst die bis dahin aus der Feder von unbekannten Leuten (oder solche, die es bleiben wollen) unter erdichteten Namen, von Messe zu Messe erschienenen "Relationes historiarum". Diese ohne Scheu und Zensur aufgelegten Relationen würden nur erlangen, dass "man nunmehr solche ihre vermeintliche intitulierte Historien vor unzeitige Geburten, welche den mehrerntheil deß Grundts und Warheit Geschichten mangeln, nicht allein haltet, sondern auch Spottsweise auffkauffet, dieselbige vor eine Meßkram, und zur Kurtzweil einen guten Freunde anheimbs zu bringen, und als neuwe Zeitungen nur zum Lust, aber nicht zu Nutzen, zu verehren. Dessen keine andere Vrsach ist, dan daß diese Stöppeler vnerwartet der spargierten vnd wochentlich in Brieffen zugeschriebenen Zeitungen (so gemeiniglich auff zweiffentlichen Vermuthungen stehen) eigentlicher Erkundigung vnnd Confirmation mit dem Truck allein auff ihren Vortheil zu sehr eilen". Weil diese Zeitungen von unterschiedlichen Leuten in verschiedenen Orten gelesen werden und dabei Unwahrheiten verbreiten, die dann schwer zu enthüllen sind, scheint es dem Autor trotzdem wichtig, die täglichen und jährlichen Geschehnisse zu notieren und sie der "Posteritet" zu geben. Rittershausen gibt daraufhin drei Gründe für sein Werk: In solch schwierigen Zeiten wie zu Beginn des 17. Jahrhunderts, "in denen es am höchsten von nöthen seyn wil", sei es wichtig "dasjenige zu beschreiben, und an Tag zu geben, was vnserm geliebten Vatterland, Teutscher Nation, zu Lehr, Warnung und Nachrichtung erprießlich seyn möchte". Sodann, gegen die mögliche Kritik wegen Unvollkommenheit seines Werkes, meint er, sein Werk sei unleugbar ein solches, das "in mittler Zeit just zu einer rechten und ansehenlichen Historien erwachsen möge". Mit großen, herrlichen Werken, die seit dem Reichstag zu Augsburg 1555 erzählen, geschehe es, dass sie " offtermals gar lang dahinden, oder wol gar stecken bleiben". Zum Dritten enthalte ein Werk, das Ereignisse Tag für Tag, Monat für Monat und Jahr für Jahr verzeichne, mehr Wahrheit als die groß angelegten Geschichten. Damit die Wahrheit auch nicht verschwiegen bleibt, komme sein Werk nicht wöchentlich heraus, sondern von Messe zu Messe, um auf diese Weise bestätigte Geschehnisse zu bringen. Und damit die Unordnung der anderen Relationen aufgehoben wird, bringt er die monatlich verzeichneten Ereignisse nach Provinzen und Länder geordnet, welche den vier Teilen des Werkes entsprechen.
Im ersten Teil berichtet Rittershausen über die Ereignisse in den Niederlanden, in Holland, auf See, in England und in Niederdeutschland am Rheinstrom und um Köln des Jahres 1600. Im zweiten Teil werden die Ereignisse in Österreich, Ungarn, Böhmen, Siebenbürgen, Walachei, an der Moldau und teilweise in Polen, Preußen und Schlesien beschrieben. Im dritten Teil diejenigen in Spanien, Frankreich, Italien, Savoyen und in etlichen Orten in der Türkei. Im vierten Teil wird über die Geschehnisse in Deutschland und teilweise in Schweden berichtet. Für die Monate von Januar bis März des Jahres 1601 wiederholt sich dieselbe Einteilung. So geordnet, bringt der Autor Monat für Monat nicht nur Kriegs- bzw. politische Ereignisse und diplomatische Begebenheiten, sondern auch Wirtschaftsangaben, Feuerbrände, Festlichkeiten und Volkstümliches, darunter Volkslieder und Gedichte, Mord- und Übeltaten sowie Gerichtsprozesse, usw., was den Bericht zu einer ausgesprochenen reichen Quelle über den Beginn des 17. Jahrhunderts macht.

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C) Europabegriff und -vorstellung bei Rittershausen

Der Terminus "Europa" wird im Werk als eine übergeordnete Ordnungskategorie verwendet, die nicht thematisiert ist. Die Vorstellungen, die der Verfasser damit verbindet, sind nur anhand des Kontexts und des spärlichen Gebrauchs des Wortes zu bestimmen. Zunächst wird "Europa" in einem geographischen Sinn benutzt, wie schon im Titel zu erkennen ist. Die Länder von Spanien und England bis zur Türkei und Polen werden als zugehöriger Teil des Kontinents wahrgenommen, in dem die Ereignisse stattgefunden haben, von denen berichtet wird. Russland bzw. Moskau wird im Text nur einmal erwähnt, als für Januar 1600 der ein paar Monate zuvor in Pilsen "mit Credenzschreiben von irem Großfürsten sampt stattlichen Presenten" eingetroffene Gesandte des Moskauer Großherzogs in der Stadt Eger das Fest des "Trium Regum" (oder der "Weisen aus Morgenland") mit einer kolorierten Prozession nach griechischem Ritus als Erinnerung an die Taufe des Heilands durch Johannes zelebrierte. Ob Russland somit innerhalb oder außerhalb Europas liegt, kann nicht näher bestimmt werden.
Für eine geistliche bzw. politische Bedeutung von "Europa", verwendet der Autor das Wort Christenheit. Der Christenheit wird der ungläubige türkische Erbfeind gegenübergestellt. So berichtet Rittershausen über den Stand der Beziehungen der europäischen Mächte zu den Osmanen und besonders über die Auseinandersetzungen zwischen Habsburg und der Hohen Pforte, über die Einfälle der Türken in christliche Territorien und über Rüstungs- und Verteidigungsgeschäfte der Habsburger in Ungarn, den Erblanden und Böhmen. Ob Russland politisch oder geistlich zum christlichen Europa gehört, muss wieder dahingestellt bleiben, wie auch die Frage ob die orthodoxe Kirche Bestandteil des christlichen Europa ist oder nicht. Die konfessionelle Komponente in Bezug auf die innere Spaltung der Christenheit lässt, wenn auch präsent (zum Beispiel als über die Zerstörung der reformierten Gemeinde in Köln Anfang 1600 berichtet wird), nicht unbedingt Rückschlüsse auf eine gewisse Europavorstellung zu. Wichtiger ist die machtpolitische Ebene des Kampfes zwischen Spanien und Holland. Ihre Auseinandersetzungen auf niederländischem wie auch auf deutschem Boden werden aus einer rein militärischen und politischen Sicht beschrieben. Den Ereignissen im Heiligen Römischen Reich wird naturgemäß der breitere Raum in der Berichterstattung gegeben. Trotzdem und ohne dass etwas über eine Vorrangstellung Spaniens gesagt wird, spielt Spanien bzw. die von den Spaniern verursachten Geschehnisse eine wichtige Rolle in der Darstellung.
Rittershausens Annalen geben detailliert Auskunft über eine reiche Palette an Ereignissen zwischen Januar 1600 und März 1601, die, ohne Europa an sich zu thematisieren, doch ein facettenreiches Bild der europäischen Welt entwerfen.

(aw)

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