Nicolas (fils) Sanson:
L'Europe. Dediée a Monseigneur/ Monseigneur le Tellier Secret. d' Estat/ par N. Sanson le fils Geograph du Roy./
A Paris chez l'Autheur auec Priuilege pour 20 ans. (1647)
Zitierweise: Alexander Wilckens: Quellenautopsie "Nicolas Sanson (1647)", in: Europabegriffe und Europavorstellungen im 17. Jahrhundert. Web-Projekt, Wolfgang Schmale (Dir.). https://europaquellen.univie.ac.at/einzelansicht/news/nicolas-fils-sanson-1647/
Schlagworte: Atlas; Christenheit; Geographie; Religionen; Sprachen;
Fundort: ÖNB / 393.912-B.K
A) Kurzbiographie | B) Beschreibung der Quelle | C) Europabegriff und -vorstellung bei Sanson |
Nicolas Sanson der Jüngere war der älteste Sohn des Geographen Nicolas Sanson d'Abbeville (1600-1667), dem Vater der Geographie in Frankreich. Er wurde ca. 1626 geboren und starb in Paris am 27. August 1648 unter tragischen Umständen. Wenige Tage, nachdem Sanson vor dem französischen Kanzler Séguier den Eid als ordentlicher Geograph König Ludwigs XIV. geleistet hatte, verteidigte er beim Ausbruch der Fronde den Kanzler, Freund seines Vaters und Beschützer seiner Familie, gegen das wütende Volk in der Journée des Barricades. Er wurde dabei tödlich verletzt. Außer dem Atlas L'Europe, seinem ersten wichtigen Werk, sind von von ihm noch zwei weitere Karten bekannt: Scandinavie und Estats du czar ou Moscovie.
Literatur:
- Biographie Universelle (Michaud) Ancienne et Moderne, T. 37, S. 655.
- Hoefer (Dir.): Nouvelle Biographie Générale depuis les temps les plus reculés jusqu'à nos jours, avec les renseignement bibliographiques et l'indication des sources àconsulter, Paris 1864, T. 43, S. 207.
- Pastoureau, Mireille: Les Atlas français XVIe-XVIIe siècles. Répertoire bibliographique et étude, Bibliothèque nationale, Paris 1984, S.426 ff.
B) Beschreibung der Quelle
Das schlicht "Europa" betitelte Werk ist ein Atlas, der in leicht lesbarer und verständlicher, aber präziser Weise die Geographie des Kontinents darstellen möchte. Das Werk ist nicht datiert und ist wahrscheinlich kurz vor oder nach dem Tod des Autors erschienen, da er als "ordentlicher königlicher Geograph" genannt wird. Das Privileg zur Herausgabe wurde Sanson dem Älteren am 21. Januar 1647 verliehen. Nicolas Sanson der Jüngere hatte kaum Zeit ein originelles Œuvre zu entwickeln, und so kann es nicht verwundern, dass er sich stark am Vater anlehnte. Der Atlas wurde später bei Pierre Mariette um 1660 und 1665 herausgegeben. Er erschien 1697 in erweiterter Form bei Pierre Moullart-Sanson. Das Werk wurde auch unter dem Namen des Vaters, Nicolas Sanson d'Abbéville, herausgegeben, und zwar als erster Teil einer Traktaten-Serie zu den vier bekannten Erdteilen der Welt. Es wurden zwei Titel angeführt:
1. L'Europe/ Dediée a Monseigneur/ Monseigneur le Tellier Secret[aire] d'Estat &c./ Par N. Sanson le fils/ Geograph du Roy/ Súr la Copie/ A Paris chez l'Autheur/1683.
2. L'Europe/ en plusiers cartes,/ et en divers Traités/ de Geographie et d'Historie,/ Là oú sont décrits succintement, & avec une/ belle Methode, & facile/ ses Empires, ses Peuples, ses Colonies,/ leurs moeurs, langues, religions,/ richesses, &c./ Et ce qu'il y a de plus beau, et de plus rare dans toutes ses Parties, & dans ses Iles,/ Par N. Sanson d'Abbeville, Geographe Ordinaire du Roy,/ sur la Copie imprimée/ A Paris,/ Chez L'Autheur, dans le Cloître de Saint Germain de l'Auxer-/ rois, joignant la grande Porte du Cloître./M.DC.LXXXIII.[1683].
Diese Ausgabe fand noch im selben Jahr eine holländische Übersetzung.
Zu erwähnen ist noch eine deutsche Ausgabe von 1679, die eine Übersetzung in erweiterter und veränderter Form der ganzen Traktaten-Serie bietet und unter den Namen des Vaters erschienen ist:
Die gantze Erd-Kugel/ Bestehend in den vier bekannten Theilen der Welt/ Als Europa, Asia, Africa und America/ sampt schönen neuen und accuraten Land-Karten/ nebenst einer Geographischen und historischen Beschreibung aller Darinnen befindlicher Kayserthümmer/ Königreiche/ Landschaften und Städte/ Sitten der Völcker/ dero Sprachen/ Religionen/ Handel- und Gewerbschafft/ Reichthümer/ auch was darinnen seltsames und merckwürdiges zu sehen und zu finden ist. In franzüsischer Sprache erstlich beschrieben von Herrn Sanson d'Abbeville, Königl. Maj. in Franckreich Geographo Ordinario. Und denen Liebhabern zum Besten in die Hochteutsche Sprache getreulich übersetzet. Franckfurt am Main, In Verlegung Johann David Zunners, 1679.
In seiner ersten Ausgabe umfasst das Werk 29 Doppelseiten und 12 Karten. Der Titel erscheint inmitten eines muschelartigen Frontispizes. Im oberen Teil sieht man zwei Putti, die einen Korb mit Früchten auf einen Lorbeerkranz stellen. Im Innern des Kranzes ist ein Herkules zu sehen, der einen Löwen besiegt. Nach der Zueignung auf der zweiten Doppelseite an Monseigneur Le Tellier, Seigneur de Chaville, Conseiller du Roy, folgt der Haupttext.
Zuerst wird Europa als Gesamtheit betrachtet, um es dann in neun Teilen gemäß der von Nicolas Sanson dem Älteren entwickelten Methode zu beschreiben, wonach der Kontinent in drei Hauptregionen zerfällt, die wiederum in drei Unterregionen unterteilt werden. Jedem Teil folgt die entsprechende Karte. So werden an erster Stelle die Britischen Inseln, mit Schottland und Irland, Skandinavien, worunter Dänemark und Schweden zu verstehen sind, sowie Weißrussland behandelt. Diese drei Teile sind diejenigen, die am weitesten gegen Mitternacht liegen. Mitten in Europa liegen Frankreich, Deutschland und Polen; gegen Mittag Spanien, Italien und die europäische Türkei. Anschließend werden die Flüsse dieser neun Teile näher beschrieben.
C) Europabegriff und -vorstellung bei Sanson
Wie schon Titel und Umfang des Werkes andeuten, bietet Sanson eine kurze und möglichst präzise Definition Europas, die auf rein geographischen Gesichtspunkten basiert. So wird Europa gleich am Anfang als einer der drei Teile unseres Kontinents definiert, der aus Asien im östlichen, Afrika im südlichen und eben aus Europa im nordwestlichen Teil besteht. Europas natürliche Grenzen sind die Nordsee, der Atlantische Ozean, das Mittelmeer; im östlichen Teil eine Folge von kleineren Meeren (Ägäisches Meer, Marmarameer, Schwarzes Meer, usw.) und von Flüssen (Don, Tanais, Wolga, Rha und Oby), die Europa von Asien trennen. So liegt Europa zwischen dem 35. und dem 72. Breitengrad und zwischen dem 10. und 100. Längengrad. Der Ozean und die verschiedenen Meere haben, laut Sanson, den europäischen Völkern einen großen Vorteil gegeben, so dass sie seit langem die tüchtigsten Leute der Welt seien - in den Wissenschaften, im Krieg, in den Künsten und in jeder Technik.
Neben der Unterteilung des Kontinents in drei bzw. neun Regionen, die dann im Werk im einzelnen beschrieben werden, ist es für Sanson wichtig im Voraus zu erklären, dass Europa drei Hauptsprachen und drei Hauptreligionen besitzt. Die lateinische, deutsche und slawische Sprache wären die üblicheren und allgemeineren in Europa.
Bei den Religionen oder Sekten ["ou plustost les differentes Sectes de Religions (il n'y a presque que le Christianisme en Europe)"] gäbe es auch hauptsächlich drei. An erster Stelle stehe die Römisch-Katholische-Apostolische Kirche, von der sich dann die Häresie (=Reformation) und das Schisma (=orthodoxe Kirche) abgeleitet hätten. Häretiker und Schismatiker werden ihre Parteigänger genannt. Diese drei Religionen oder Sekten entsprechen auch den drei Hauptsprachen. Die katholische Religion finde man vorherrschend überall dort, wo es die lateinische Sprache gebe. Sie hält sich aber auch in vielen Enklaven bei den anderen Sprachen, wie teilweise in Deutschland, in Polen und in einigen Stützpunkten in der europäischen Türkei. Die Häresie sei entzweit und man finde sie fast ausschließlich in den Regionen deutscher Sprache. Schismatiker treffe man vorherrschend in den Regionen slawischer Sprache und bei den Griechen. Sanson erklärt, dass auch die mohammedanische Religion zu berücksichtigen sei, die man ja naturgemäß bei den Türken treffe, aber bei den Völkern, die sich in Europa unter seinem Joch befänden, gäbe es Katholiken, Schismatiker und Häretiker.
Nach diesen Aussagen folgen die kurz und bündig gehaltenen geographischen Beschreibungen der einzelnen Teile und Länder Europas. Das rein geographische Zuordnungskriterium macht es Sanson möglich, die Grenzgebiete Weißrussland und die sich unter der Herrschaft des Osmanischen Reichs befindenden Regionen als Teil von Europa anzusehen, ohne dabei andere Erörterungen geben zu müssen. Das russische Volk tendiere ja ohnehin zu westlichen Mustern und wie schon oben vermerkt, befänden sich unter türkischer Herrschaft eigentlich christliche Völker. Auch wenn die Beschreibungen der einzelnen Länder sein dreiteiliges Modell befolgen und somit keine machtpolitischen Hierarchisierungen vor Auge treten, lässt Sanson doch wissen, dass Frankreich sich besonders von den restlichen Ländern abhebt. Frankreich sei das schönste, reichste und zukunftweisendste Land Europas.
(aw)