Peter Ambros Lehmann [1697]

Des izt=herrschenden Europae Erstere Fortsetzung enthaltend die italiäns. Fürsten so itziger Zeit leben. Dem Pabst/ Cardinäle/ die weltlichen Printzen/ nebenst dem fürstlichen Familien der Stadt Rom. Da bey jenen eines jeden Geburth/ Auffkunfft/ und glückliche Erhöhung/ bey diesen nebenst der Geburth dero Gemahlin/ Printzen und Princessinnen/ Staat= und Residentien angemercket werden.
Hamburg. Zu bekommen bey Benjamini Schiller, Buchhändlern im Dohm/ Anno 1697.

Zitierweise: Josef Köstlbauer: Quellenautopsie "Peter Ambros Lehmann (1697)", in: Europabegriffe und Europavorstellungen im 17. Jahrhundert. Web-Projekt, Wolfgang Schmale (Dir.).
https://europaquellen.univie.ac.at/einzelansicht/news/peter-ambros-lehmann-1697/

Schlagworte: Fürsten; Genealogie; Italien; Namensregister; Papsttum; Standespersonen; Weltteil;

Fundort: ÖNB / BE.7.R.87

A) KurzbiographieB) Beschreibung der Quelle C) Europabegriff und -vorstellung bei Lehmann

 

A) Kurzbiographie

Peter Ambros Lehmann kam im Jahr 1663 in Döbeln bei Meissen zur Welt. Nach dem Besuch der dortigen Fürstenschule schrieb er sich an der Leipziger theologischen Fakultät ein, wo er sich auch Kenntnisse in Geschichte, Genealogie und Numismatik aneignete. 1690 promovierte Lehmann zum Doktor der Philosophie und lehrte eine Zeit lang in Leipzig, bevor er spätestens 1693 nach Hamburg übersiedelte. Er verdiente seinen Lebensunterhalt erst als Hauslehrer, wandte sich aber zunehmend literarischen Tätigkeiten zu. So veröffentlichte er 1697 ein Stammregister des Herzogs von Boufleur und im Jahr darauf eine Aufstellung von Hamburger Literaten. Eine ausgedehnte Reise durch Teile Deutschlands und Hollands bildete die Grundlage für sein Reisehandbuch "Die vornehmsten Europäischen Reisen, wie solche… vermittelst der darzu verfertigten Reise-Charten, nach den bequemsten Post-Wegen anzustellen, und was auf solchen curieuses zu bemerken" (1708). Dieses sehr erfolgreiche Werk wurde vielfach aufgelegt und erfuhr später noch gesteigerte Verbreitung in einer Bearbeitung Gottlob Friedrich Krebels. Neben der dreiteiligen Reihe des "Itzt herrschenden Europa" (1694-1700) publizierte er zwischen 1699 und 1708 zehn Bände der "Historischen Remarques der neuesten Sachen in Europa".
Im Jahr 1708 wurde er vom sächsischen Kurfürsten und polnischen König zum Legationssekretär des niedersächsischen Kreises und zu dessen Vertreter in Hamburg ernannt. In diesen Funktionen erwies sich Lehmann als begabter Administrator. Seine publizistische Tätigkeit gab er dabei nicht auf, so veröffentlichte er 1709 eine numismatische Abhandlung ("Thaler Kollektion in Skatolen abgetheilt") und 1714 eine weitere genealogische Arbeit, "Genealogische Tabellen aller von Cosmo I., Großherzog zu Florenz, absprossenden fürstlichen Häuser und Personen". 1726 wurde er in die Preußische Akademie der Wissenschaften aufgenommen. Peter Ambros Lehmann verstarb im Jahr 1729.

 

Literatur:

  • Deutsches Biographisches Archiv, Neue Folge, Mikrofiches-Edition, MF 749.
  • Jöcher, Christian Gottlieb: Allgemeines Gelehrten=Lexicon, 4. Ergänzungsband, Delmhorst 1810, Sp.1512.

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B) Beschreibung der Quelle

Bei der vorliegenden Quelle handelt sich um den zweiten Teil der insgesamt dreiteiligen Reihe "Das Itzt=herrschende Europa" aus der Feder des Peter Ambros Lehmann. Es sind dies genealogische Abrisse der wichtigsten weltlichen und geistlichen Fürsten Europas, verfasst für ein breiteres Bildungspublikum und in mehrfachen Auflagen veröffentlicht. Tatsächlich erschienen schon erweiterte Ausgaben des ersten Teiles bevor der letzte fertig gestellt war. Der 1694 veröffentlichte erste Teil enthält die "Beschreibung aller Christlichen Potentaten Kayser/ Könige/ geist= und weltlichen Chur= und Fürsten so itziger Zeit in Europa herrschen", im Jahr darauf erschien er mit der Erweiterung um "des H. Röm. Reichs Itzt lebende Grafen und Herren/ samt deroselben Gemahlinen/ Printzen und Herrn/ Prinzesßinnen und Fräulein." 1696 erschien eine Ausgabe, "anitzo beygefüget die vornehmsten Familien der Königreiche Franckreich und Dännemarck/ wie auch die Ritter der Königl. Dänis. Orden." Diese erweiterte Ausgabe wurde 1697 veröffentlicht, im selben Jahr wie der hier vorliegende zweite Teil, welcher den Papst, die Kardinäle, die herzoglichen Familien Italiens und die fürstlichen Familien der Stadt Rom behandelt. Der dritte Teil erschien erst 1700, er behandelt "nebenst unterschiedlichen außländischen fürstlichen die in den keyserlichen Erblanden befindliche hoch=gräfliche/ die frantzoischen und moscowitischen Familien/ ingleichen die Ritter der Orden des Güldenen Vließes und Heiligen Geistes enthalten." Alle drei Teile und ihre verschiedenen Ausgaben wurden von Benjamin Schiller in Hamburg verlegt.
Der vorliegende zweite Band umfasst 416 Seiten, vorangestellt ist ein lebhaft ausgeführtes Titelkupfer, gefolgt von einer ausführlichen Widmung an Georg Langermann, einem in Hamburg ansässigen Doktor der Medizin (Deutsches Biographisches Archiv, Neue Folge, MF 739). Daran schließt sich noch eine Vorrede an den Leser, die vor allem Ankündigungen weiterer Werke sowie Entgegnungen auf Kritiken des ersten Bandes enthält. Des Weiteren verfügt das Werk über ein an das Ende gestelltes Namensregister.
Der eigentliche Inhaltsteil ist hierarchisch strukturiert und in drei Abschnitte gegliedert. Den Anfang machen die kirchlichen Fürsten, allen voran der Papst (Innozenz XII., 1615-1700), gefolgt von den Kardinälen. Jeder Eintrag enthält eine meist ausführliche Darstellung der Abstammung und der Vita des Beschriebenen. Dort wo die Informationen des Autors zu dürftig sind, weist er darauf hin bzw. vertröstet auf zukünftige Ausgaben. So etwa im Fall von zwölf Kardinälen, die Innozenz erst 1695 eingesetzt hatte und die nur dem Namen nach aufgelistet sind: "weil mir dieselbige von Rom ganz accurat versprochen worden/ biß dahin sich also der geneigte Leser gedulden wird."
Die Einträge zu den übrigen Kardinälen werden jeweils von lateinischen Versen beschlossen, die Hinweise auf Herkunft oder Charakter des Betreffenden enthalten. Den Abschnitt über die geistlichen Fürsten beschließt eine Abhandlung "Von den Cardinälen ins gemein", welche Rangfolge, Zeremonien, Ernennungen und politische Fraktionen schildert, dabei aber stark im Anekdotischen verhaftet bleibt. Ganz am Ende stehen die Prophezeiungen des Malachias - eine vorgeblich im 12. Jahrhundert kompilierte Liste aller Päpste bis zum Weltuntergang.
Der zweite Abschnitt ist den großen herzoglichen Häusern gewidmet: zuerst erscheinen die drei Linien des Hauses Savoyen (Savoyen, Carignan und Nemours), dann die des Großherzogs der Toskana (Medici), des Herzogs von Modena (d'Este) und des Herzogs von Parma und Piacenza (Farnese). Die Beschreibungen fallen hier wesentlich knapper aus und umfassen auch Kinder, Gatten und Geschwister.
Den dritten Abschnitt füllen die "Aeltesten und Fürnehmsten Familien der Stadt Rom", angeführt vom Haus Colonna. Diese Darstellungen sind wieder sehr ausführlich, sie enthalten Abkunft, Schicksal und Verzweigungen der Familie sowie biographische Details zu wichtigen Vertretern. Vorangestellt ist jeweils ein Kupferstich des Wappens der besprochenen Familie.

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C) Europabegriff und -vorstellung bei Lehmann

Aussagen zu Europa sind im genealogischen Werk Lehmanns nicht anzutreffen. Aus dem Projekt insgesamt lassen sich aber zumindest einfache Schlüsse ziehen. Immerhin hat der Autor den Titel "Itzt herrschendes Europa" gewählt. Diese Namensgebung für eine Auflistung europäischer Fürsten- und Adelshäuser und aristokratische Orden weist hin auf eine Vorstellung von Europa als monarchisch-aristokratischer Weltteil. Diese Deutung wird auch unterstützt durch den Umstand, dass die drei Teile nach geographischen Gesichtspunkten geordnet sind, dabei aber gerade in den erweiterten Auflagen beispielsweise französische und dänische Adelsfamilien denjenigen des Reichs beigeordnet sind. Protonationale Abgrenzungen scheinen also für den Autor in diesem Fall wenig bedeutsam gewesen zu sein, im Vordergrund steht die Aristokratie als Stand einer allgemein gültigen gesellschaftlichen Ordnung.
Ein möglicherweise gerade im zweiten Teil zu erwartender Bezug zu Europa als Christlicher Republik ist nicht gegeben. Der Umstand, dass Lehmann den kirchlichen Fürsten und den alten Familien der Stadt Rom einen Großteil des Buches widmet, verweist natürlich auf die Bedeutung Roms im christlich bestimmten Kosmos des 17. Jahrhunderts. Aber in den Texten fehlt jegliche politische oder religiöse Überhöhung Roms gegenüber den anderen Teilen Europas.
Dafür enthält die dem Band vorangestellte Widmung eine fast romantisch anmutende Lobpreisung Italiens. Der Autor beschwört die Schönheit des Landes und seine Kunstwerke, Bibliotheken und Gelehrten: "Italien ist viel zu ein herliches und schönes Land/ als dass man es mit dem rauen Mußcovien vergleichen/ und vor selbigen einen Abscheu tragen sollte; vielmehr hat ein jeder die gröste Begierde selbiges zu sehen/ und die überaus prächtigen Städte/ Palatia, und deroselbigen unvergleichlichen Zierathen zu verwundern. Welchen Gelehrten wässert nicht das Maul/ wenn er von denen unschätzbaren/ der Florentinischen/ Vaticanischen und andern Bibliotheken zu Rom höret/ und dencket/ ach wer sich etliche Jahre darinnen herumschlagen sollte." Hier spricht ganz offensichtlich selbst ein Gelehrter und Bücherfreund. Interessant ist auch ein Vergleich mit Deutschland: "Es ist zwar nicht zu leugnen/ dass wir auch in Teutschland überaus schöne Städte/ herliche Bibliotheken/ grundgelahrte Männer/ eine reiche Anzahl hoher Fürstl. Persohnen und prächtiger Höfe haben/ welche alle Welt auch die Italiäner selbst hochachten müssen; So hat doch Italien in diesen allen etwas sonderbahres vor sich/ so wir Teutsche hinwiederum aestimiren müssen/ und deßwegen begierig sind selbiges in Augenschein zu nehmen." In der Welt der Gelehrsamkeit - und die wurde damals ohne Zweifel ausschließlich auf Europa bezogen - nahmen die Städte Italiens mit ihrer humanistischen Tradition sicherlich eine besondere Stellung ein.

(jk)

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