Tobias und Johann Wolfgang Ulrich [1690]

Das/ Ueber die Roem. Koenigl. Kroenung Jauchzende Europa,
Als der Allerdurchleuchtigste und Großmaechtigste Fuerst und Herr/ Herr Josephus/
Zu Hungarn/ Dalmatien/ Croatien/ Sclavonien/ Servien/ Boßnien und Bulgarien König/ &c. Ertz=Herzog zu Oesterreich/ &c. &c. Zum Koenig des Heil. Roem. Reichs/ von denen/ deß heiligen Reichs/ gesamten Chur=Fuersten/ Zu hoechster Freude Ihrer Roem. Kayserl. Majest. Majest. Und deß ganzen Roem. Reichs/ Den 24. Januar. deß 1690. Jahrs/ in des Heiligen Reichs=Stadt Augspurg/ einhellig erwaehlet/ und den 26. Jan. mit Koenigl. Solennitaeten gekroenet wurde; Ihro Roem. Kayserl. Majestaet Majestaet Leopoldo und Eleonoræ, Magdalenæ, Theresiæ, Als hoechstbegluekseeligten hohen Eltern/ dem neubekroenten Koeniglichen Haupte/ dann denen Europaeischen Potentaten/ Chur= und Reichs=Fuersten/ Zu aller unterthaenigsten Ehren/ in allertieffester Demuth/ einfaeltig vorgestellet
Beeder Kayserl. Kayserl. Und Koenigl. Majest. Majest. Majest. Allerunterthaenigste Knechte/ Tobia und Johann Wolffgang Ulrichen Gebruedern.
Gedruckt in Augspurg/ durch Jacob Koppmayer/ Stadt Buch=Drucker.

Zitierweise: Rolf Felbinger: Quellenautopsie "Tobias und Johann Wolfgang Ulrich (1690)", in: Europabegriffe und Europavorstellungen im 17. Jahrhundert. Web-Projekt, Wolfgang Schmale (Dir.). https://europaquellen.univie.ac.at/einzelansicht/news/tobias-und-johann-wolfgang-ulrich-1690/

Schlagworte: Gelegenheitsschrift; Heiliges Römisches Reich; Joseph I.; Königswahl; Krönung; Lobgedicht; Universalmonarchie;

Fundort: BSB / 2 Ded. 333,Beibd. 6

A) KurzbiographieB) Beschreibung der Quelle C) Europabegriff und -vorstellung bei Tobias und Johann Wolfgang Ulrich

 

A) Kurzbiographie

[Biographische Daten zu den im Titel aufgeführten Verfassern lassen sich nicht eindeutig ermitteln. Das "Deutsche Biographische Archiv" (Alte Folge, Mikrofiches-Edition, MF 1295) beinhaltet für den in Frage kommenden Zeitraum zwar einen Eintrag zu dem im fränkischen Pappenheim ansässigen, protestantischen Stadtpfarrer und Konsistorialrat Tobias Ulrich (1645-1724), doch erlaubt die geringe Detaildichte (mangelnde familiäre Informationen, keine Angabe über Aufenthalte in oder Reisen nach Augsburg, keine Auflistung der "Jauchzenden Europa" im Schriftenverzeichnis) letztlich keine Zuordnung. Zur Person des Bruders Johann Wolf(f)gang Ulrich lassen sich keine persönlichen Daten recherchieren.]

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B) Beschreibung der Quelle

Bei der "Jauchzenden Europa" handelt es sich um eine panegyrische Schrift, die im Jahr 1690 anlässlich der Krönung des zwölfjährigen Sohnes Kaiser Leopolds I. zum deutschen König in Augsburg herausgegeben wurde. In hierarchischer Abfolge bringen die kaiserlichen Eltern, die (ranggleichen) europäischen Monarchen, die Kur- und Reichsfürsten, die beiden Oberbefehlshaber der kaiserlichen Armeen und die gesamte, mit einer Stimme sprechende "Kayserl[iche] Soldatesca" dem jungen Joseph I. ihre Glücks-, Heils- und Segenswünsche vor, bevor mit dem - aus der Gruppe der europäischen Monarchen ausgeschlossenen - französischen König sowie dem osmanischen Sultan die zwei Machthaber zur Sprache kommen, die durch ihre unchristliche und tyrannische Natur sowohl als Feinde des neuen Königs, als auch ganz Europas begriffen werden.
Zuerst ergreift Kaiser Leopold I. selbst das Wort, der auf die dramatischen Vorgänge seit der Belagerung Wiens (1683) hinweist. Trost sei ihm nach erfolgreicher Gefahrenabwehr die - nach der ungarischen Königswahl (1688) - zweite Krönung seines Sohnes, dem er fromme Lebenswünsche mit auf den Weg gibt. Seine Ehefrau Eleonore Magdalena Theresia von Pfalz-Neuburg, die ebenfalls - und durchaus unüblich - in Augsburg zur römisch-deutschen Kaiserin gekrönt wurde, schließt sich in der Folge diesen Wünschen und Segnungen an. Die nun an die Reihe kommenden Monarchen legen in ihren Ansprachen zwar unterschiedliche thematische Schwerpunkte (Beistand, Freundschaft oder dynastische Bindungen zwischen den Königreichen; Entschlusskraft, Mut und Glück für den neuen König usw.), doch betonen sie darüber hinaus gemeinsam die aktuelle Bedrohung Europas durch die Franzosen und Türken. Auch die Huldigungen der einzelnen Kurfürsten reihen sich in dieses Schema ein. Während die drei geistlichen Kurfürsten vor allem eine Vielzahl an biblischen Segnungen hervorbringen, beschwören die weltlichen Kurfürsten die historische, gegenwärtige und zukünftige Größe des Herrscherhauses, versichern dem König ihre Treue und mahnen ihn zum entschlossenen Handeln gegen die beiden Feinde des Reiches. Hervorgehoben wird hierbei der bayerische Kurfürst Maximilian II. Emanuel ("Held im Bayrland"), der wohl ebenso wie die populären Oberbefehlshaber der rheinischen und ungarischen Armeen, Karl von Lothringen und Ludwig Wilhelm von Baden ("Türkenlouis"), die Tatkraft und zukünftigen Erfolge des jungen Habsburgers symbolisieren soll. Die Forderung, die Türken immer mehr aus dem besetzten Territorien zurückzudrängen, taucht in diesem Kontext mehrmals auf und wird von dem begleitenden Huldigungsgedicht der kaiserlichen Armeen unterstützt.
Auf den letzten Seiten beenden die kläglichen Reuebekundungen des französischen Königs und des mit ihm verbündeten Sultans die Lobschrift, wobei zur Charakterisierung der beiden Potentaten auf alttestamentarische Bezüge ("der Parisische Bileam", "der Ottomanische Balak"; 4. Buch Moses, Kapitel 22, 23) zurückgegriffen wird:

 

(Bileam:)
"Ich dacht in meinem Sinn/ das Reich und Kayserthum/
(Sih was der Geiz nicht thut) wird mir zu grossem Ruhm.
Sag/ Bruder Solymann! wie wird es endlich gehen?
Mein Geist erschroecket mich/ wir werden kaum bestehen/
Es streitet wider uns die ganze Christen=Welt/
Glut/ Flut und Gottes Rach! Der Fall ist uns bestellt.

(Balak:)
"Mich trifft des Himmels Fluch! Bin fast im Blut versuncken/
Ach weh! Ach wehe mir! Es fliegen Krieges=Funken
Schier biß nach Stambol hin! Ich leide grosse Noht/
Ach Angst! Die mehr als Angst! O Tod! O mehr als Tod!"

 

Anschließend stoßen die zwei Reichsfeinde noch einen aus vier Paarreimen bestehenden Fluch auf den neuen König aus, der, ganz nach dem literarischen Geschmack der Zeit, auch in vertikaler Leserichtung Verse in Jambenform bildet. Diese Verse verkehren alle horizontal zu lesenden Flüche in Segenswünsche und leiten direkt in eine letzte, generelle Lobpreisung ("Der Koenig aller Koenige") über.

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C) Europabegriff und -vorstellung bei Tobias und Johann Wolfgang Ulrich

Die Verwendung des Europabegriffs in dieser Quelle kann nur im Zusammenhang mit der aktuellen Kriegslage im Jahr 1690 verstanden werden. Zur Zeit der Augsburger Königswahl befindet sich das Heilige Römische Reich in einem Zweifrontenkrieg gegen das Osmanische Reich (seit 1683) und Frankreich (seit 1688). Die Vorgänge auf den zwei Kriegsschauplätzen werden von den Verfassern aber nicht als begrenzte, sondern als "supranationale" Konflikte gesehen, die alle (mit dem Reich verbündeten) Monarchen Europas (Könige von Spanien, Portugal, England, Schweden, Dänemark und Polen) betreffen. Letztendlich soll und muss sich jeder einzelne von ihnen, durch seine Stellung als christlicher Monarch, als natürlicher Feind der Türken sowie, durch das eigene machtpolitische Interesse, als natürlicher Gegner des nach einer Universalmonarchie strebenden Ludwig XIV. von Frankreich verstehen. Andere europäische Verbündete fehlen vermutlich, weil sie wie im Fall der Generalstaaten in Personalunion regiert und durch den englischen König vertreten werden oder wie im Fall des Herzogtums Savoyens nicht in den hierarchisch-symmetrischen Aufbau des Werks eingefügt werden können.
Auffällig ist die kontinuierliche Betonung der gegen die christliche Religion gerichtete und aus rein machtpolitischen Motiven initiierte "Verbrüderung" ("Biß dass in Jammer=reichem Weh/ Achmet mit Lovis untergeh'."; "Die Liljen erblassen im blaulichten Feld/ Der Monde will fallen im Tuerckischen Zelt") der beiden Feinde, die sich durch den kompletten Panegyrikus zieht. Vor allem Frankreich wird durch die permanente Schilderung als "Bruder" der Türken verfemt, da ihm durch die innige Verbindung kein Platz mehr im christlichen Europa zusteht. Außerdem wird gleichzeitig der Anspruch Ludwigs XIV., der "allerchristlichste König" zu sein, als Heuchelei und Täuschung entlarvt, was im übrigen auch anschaulich durch die auf zwei Arten zu lesenden Flüche (siehe Punkt B) zum Ausdruck kommt. König Joseph I. erscheint aufgrund des feierlichen Anlasses als wichtigster Gegner dieser antieuropäischen Allianz:

 

"Europa rueste dich! Dir gehet eine Sonne/
Vom hohen Himmel auf/ empfange Sie mit Wonne/
Es wird vom Hoechsten Dir beschert ein neuer Held/..."

"Nun lasse Deinen Muth durch das groß' Europa blikken/
So/ dass dein' und unsre Feind sich vor Deinen Waffen buekken.
Stuerz' das Tuerk= und Tartar=Reich/ such das alte Kayserthum/
Daß biß an das Sternen=Dach steige Deines Nahmens Ruhm!"

 

Im Gegensatz zu den unrechtmäßigen Beweggründen Ludwigs XIV. werden die Ansprüche des deutschen Königs auf eine Universalmonarchie historisch ("das alte Kayserthum"; "Dem grossen Roemer=Reich/ wolan/ so sey geflissen/ Zu mehren, staercken solches Reich") begründet und als legitim anerkannt. Dieser restaurative Anspruch findet im Lobgedicht sowohl innerhalb als auch außerhalb des Reiches Unterstützung, da nur eine starke Stellung von Kaiser und König den dauerhaften Frieden in Europa gewährleisten kann.

(rf)

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