William Penn [1693]

An Essay Towards the Present and Future Peace Of Europe,
By The Establishment of an European Dyet, Parliament, Or Estates.
Beati Pacifici. Cedant Arma Togae.
London, Printed in the Year, 1693.

Zitierweise: Rolf Felbinger: Quellenautopsie "William Penn (1693)", in: Europabegriffe und Europavorstellungen im 17. Jahrhundert. Web-Projekt, Wolfgang Schmale (Dir.). https://europaquellen.univie.ac.at/einzelansicht/news/william-penn-1693/

Schlagworte: Einheit; Essay; Frieden; Friedensplan; Heinrich IV. von Frankreich; Parlament; Pazifismus;

Fundort: BSB / Z 84.192-1

A) KurzbiographieB) Beschreibung der Quelle C) Europabegriff und -vorstellung bei Penn

 

A) Kurzbiographie

William Penn wurde am 14. Oktober 1644 als Sohn des Admirals Sir William Penn und seiner aus Holland stammenden Ehefrau Margaret Jasper in London geboren. Da Sir William Penn fast ununterbrochen für die englische Marine (u. a. 1. englisch-holländischer Seekrieg, Eroberung Jamaikas) tätig war, übernahm die Mutter die Erziehung des Kindes. Darüber hinaus ergänzten zusätzliche Studien in griechischer und lateinischer Sprache und Literatur bereits in sehr jungen Jahren den puritanischen Hausunterricht. Spätestens während eines kurzen Studienaufenthaltes am "Christ Church College" in Oxford kam der heranwachsende Penn in Kontakt mit der Erweckungsbewegung "Kinder des Lichts", die sich in "Gesellschaft der Freunde" umbenannte und unter dem Namen "Quäker" Bekanntheit erlangte.
Da er Oxford 1662 wegen "religiösen Nonkonformismus" verlassen musste, schickten ihn seine Eltern für zwei Jahre nach Frankreich, wo er an der "L'Académie Protestante" in Saumur studierte. Nach seiner Rückkehr nach London schrieb sich Penn an der bekannten Rechtsschule "Lincoln's Inn" ein und fungierte als militärischer Kurier zwischen seinem Vater und den regierenden Stuarts, wodurch er gute Beziehungen zum englischen Hof erhielt. Im Jahr 1667 wurde er wegen des Besuchs einer verbotenen Quäkerversammlung erstmals ins Gefängnis gebracht, wo er mit dem Schreiben zahlreicher Pamphlete begann, die bald die literarische Grundlage der Quäker bildeten. Während eines weiteren Gefängnisaufenthaltes im Gefängnis von Newgate entwickelte er sein bekanntestes Werk "No Cross, No Crown", die heute als Pionierschrift des religiösen Toleranzgedankens gilt und ihn zu einer führenden Persönlichkeit der Quäkerbewegung machte.
William Penn erbte im Jahr 1676 das Familienvermögen, welches auch eine Forderung in Höhe von £ 16.000 gegenüber dem englischen Hof umfasste, die 1681 durch die Belehnung mit dem Territorium westlich des Flusses Delaware in der Neuen Welt abgegolten wurde und in Gedenken an seinen Vater den Namen "Pennsylvania" erhielt. In Amerika angekommen, entwarf Penn den Grundriss der Hauptstadt Philadelphia ("Stadt der brüderlichen Liebe") und schuf mit der Verfassungsschrift "First Frame of Government" (1682) die gesetzliche Basis für sein liberal-utopisches Staatsprojekt ("Holy Experiment"). Sie fungierte als Vorbild für die Verfassungen aller nordamerikanischen Kolonien sowie für die von Thomas Jefferson entworfene Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika (1776). Gemäß den Prinzipien und Erfahrungen der Quäker sicherte dieses Werk des ersten Gouverneurs William Penn vor allem eine breite religiöse Toleranz, Glaubens- und Meinungsfreiheit, relative Demokratie, erste Schritte in Bezug auf die Frauen- und Sklavenemanzipation sowie das friedliche Zusammenleben mit den verschiedenen Indianerstämmen.
Nach seiner Rückkehr nach England versuchte Penn die Ausreise in sein Territorium durch den Aufbau einer funktionierenden Immigrationsorganisation zu koordinieren, doch brachten ihn seine langjährigen Verbindungen zum Herrscherhaus nach der "Glorious Revolution" der Jahre 1688/89 in Verruf. Die folgenden sechs Jahre verlebte der als Verräter angeklagte und verfolgte Penn hauptsächlich in Gefängnissen und in Verstecken in den Slums von London, bevor er mit Hilfe seines Freundes John Locke eine gewisse Rehabilitation erfuhr.
Auch während seines letzten, zweijährigen Aufenthaltes in Pennsylvania wurde Penn mit erheblichen politischen und gesellschaftlichen Spannungen konfrontiert, die er bis zu seiner erneuten Rückreise im November 1701 nur partiell klären konnte. Obwohl er kontinuierlich beabsichtigte, sich auf seinem Alterssitz "Pennsbury Manor" bei Philadelphia zur Ruhe zu setzen, hielten ihn diverse Konflikte immer wieder davon ab, London zu verlassen. In den Jahren 1712/13 erlitt er schließlich zwei Herzinfarkte, die Penn bis zu seinem Tod ans Bett fesselten. William Penn starb im Kreis seiner Familie am 29. Juli 1718 in Ruscomb und wurde in Jordans in der Grafschaft Buckinghamshire begraben.

 

Literatur:

  • Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. 7, Herzberg 1994, Sp. 186-188.
  • Dunn, Richard (ed.): The world of William Penn. Philadelphia 1986.
  • Durland, William: William Penn, James Madison and the historical crisis in American federalism. Lewiston 2000. (=Studies in American history; 28).
  • Geiter, Mary: William Penn. Harlow 2000.
  • Owens Peare, Catherine: William Penn. Philadelphia 1957.
  • Raumer, Kurt von: Ewiger Friede: Friedensrufe und Friedenspläne seit der Renaissance. München 1953, S. 97-116 und S. 321-341.
  • Soderlund, Jean: William Penn and the founding of Pennsylvania 1680-1684: a documentary history. Philadelphia 1983.

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B) Beschreibung der Quelle

William Penns Plan einer europäischen Einigung entsteht in London während der politisch unsicheren und gespannten Phase der Jahre 1691 bis 1693. Obwohl die Schrift wegen der historischen Bedeutung ihres Autors bereits einen relativ großen Bekanntheitsgrad - vor allem in der englischsprachigen bzw. US-amerikanischen Welt - besitzt, wird sie im Rahmen des Quellenprojektes vorgestellt, da in der Fachliteratur meist von veränderten, späteren Auflagen ausgegangen wird, während die vorliegende Autopsie auf die Originalausgabe aufmerksam machen möchte, von der heute lediglich noch drei Exemplare bekannt sind. Aufgrund der Seltenheit dieser bedeutenden historischen Quelle beauftragte die Bibliothek der Vereinten Nationen (Genf) im Jahr 1983 das Verlagshaus Olms mit dem Nachdruck (Faksimile), wofür das Exemplar der "Quaker House Library" verwendet wurde.
Penns Essay erreichte eine viermalige Auflage (1693, 1693, 1696, 1702), wobei alle Drucke anonym in London angefertigt und vertrieben wurden. Die Originalausgabe enthält außerdem keinen Hinweis auf den Verleger, doch handelt es sich dabei wahrscheinlich um Tace Soyle, einer bekannten Herausgeberin von Quäkerschriften zwischen 1691 und 1706, Randal Tayler, der die zweite Ausgabe des Essays besorgt hat, oder den Historiker Joseph Besse. Alle nachfolgenden Editionen differieren in Bezug auf die Erstausgabe und weisen zum Teil erhebliche Textabänderungen auf. Um das Jahr 1700 erscheint zusätzlich eine französische Übersetzung, von der heute lediglich noch ein Exemplar in der Bibliothek des Nobel-Instituts in Oslo existiert.
Die Quelle besteht aus einem Titelblatt, einem Vorwort ("To the Reader"), zehn inhaltlichen Kapiteln ("Sections") sowie einer Schlussfolgerung ("The Conclusion"). Penn stellt seinem Essay mit "Beati Pacifici" ("Glücklich sind die Friedliebenden") und Ciceros "Cedant arma togae" ("Weichen mögen die Waffen der Toga") zwei Mottos voran, die dem Titelblatt nicht nachfolgen, sondern bereits auffällig auf ihm platziert sind und die pazifistische Einstellung des Autors effektvoll unterstreichen. Im Vorwort schildert Penn, warum er sich entschlossen hat, einen Essay zur Etablierung und Sicherung des Friedens in Europa zu verfassen. Seine Vorstellungen mögen dabei manchen Lesern als zu phantastisch, unwirklich oder schmählich erscheinen, doch versteht sich Penn in erster Linie als Initiator für andere zeitgenössische Denker und Autoren.
Die folgenden zehn Kapitel lassen sich thematisch zu drei Blöcken zusammenfassen. Die ersten drei Abschnitte enthalten einleitende Erklärungen zu den Kernbegriffen "government", "justice" und "peace" und stellen ihre Verbindungen und Abhängigkeiten dar. Friede bedeutet in den Augen Penns Sicherung des Besitzstandes, freier Handel, Ansiedelung von Industrie, allgemeiner wirtschaftlicher Aufschwung durch eine verbesserte Auftragslage sowie eine Förderung der allgemeinen Wohlfahrt und Gastlichkeit während der Krieg neben Tod, Gräuel und Verelendung vor allem die Gier und Hamsterei der Wohlhabenden verstärkt, den Armen ein Leben als Soldat oder Dieb aufzwingt und keinerlei volkswirtschaftlichen Nutzen nach sich zieht. Die Gerechtigkeit sieht er als Weggefährtin des Friedens an, die zwischen den Parteien zur Vermittlung benötigt wird und in Form der Gesetzgebung schließlich Rechte und Pflichten definiert und bewahrt. Die Regierung stellt darüber hinaus ein notwendiges Mittel gegen die Verworrenheit dar und geht aus einem allgemeinen gesellschaftlichen Konsens hervor.
Die Sektionen 4 bis 8 beschäftigen sich mit der institutionellen Einrichtung eines Parlaments, Staatenbundes oder -versammlung auf europäischer Ebene, wobei die verwendeten Termini ("Parliament of Europe", "States of Europe", "European Confederacy", "European League", "General Diet Estates", "Imperial Parliament") oft einen recht beliebigen Austausch finden. Sie thematisieren primär die möglichen Mitglieder und deren Aufnahmeberechtigung, die Natur von Rechtstiteln und erörtern Fragen der Präsidentschaft und der Repräsentation, des Stimm- und Wahlverhaltens, der Anwesenheits- und Vertretungspflicht sowie mögliche Straf- und Sanktionsmaßnahmen. Als Diskussions-, Verhandlungs- und Vertragssprache schlägt Penn entweder Latein oder Französisch vor, die beide Vorteile besäßen und gleichermaßen akzeptiert werden könnten.
In den zwei letzten Abschnitten werden mögliche Einwände vorweggenommen, entkräftet, und die positiven Auswirkungen des Planes wie etwa ein gottgefälliges Leben in christlicher Nächstenliebe und Frieden ("Pacifick means"), das verbesserte Ansehen des Christentums bei den Ungläubigen, die Vermeidung der oft enormen Kriegsausgaben und ihrer friedlichen Verwendung, die Erleichterung von Handel und Reisen, die verstärkte Abwehrkraft gegen türkische Expansionsbestrebungen und die intensivere Freundschaft zwischen allen europäischen Fürsten, Staaten und Völkern, aufgezählt.
Abschließend weist Penn darauf hin, dass die Schaffung einer solchen - sehr eingeschränkt supranational agierenden - Institution durchaus nicht unnatürlich sei, weil "the same Rules of Justice and Prudence, by which Parents and Masters Govern their Families, and Magistrates their Cities, and Estates their Republicks, and Princes and Kings their Principalities and Kingdoms, Europe may Obtain and Preserve peace among the Soveraignties." Die besten Anregungen für seinen Friedensplan fand er nach eigenen Angaben bei seinen Recherchen über den französischen König Heinrich IV., der bereits viele Gedankengänge rund 100 Jahre vor ihm angestellt hätte. Penn bezeichnet seine Ausführungen deshalb als ein Experiment, das nötig sei, um den Frieden in Europa und der ganzen Welt dauerhaft einzurichten.

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C) Europabegriff und -vorstellung bei Penn

William Penn verweist zur Rechtfertigung seines Friedensplanes explizit auf die blutigen Geschehnisse, die sich seit (16)88 beispielsweise im Reich, in Ungarn, Flandern, England, Irland oder zur See abgespielt hätten und von denen kein menschliches Wesen ungerührt sein kann. Zur künftigen Verhinderung solcher Tragödien sei ein europaweiter Frieden von Nöten, doch liefert Penn keine generelle Definition dessen, was "Europa" für ihn darstellt.
In den Kapiteln 6 und 7 zeigt sich eine politisch-geographische Komponente "Europas", die sich insbesondere aus der Zusammensetzung einer General- oder Staatenversammlung sowie der Stimmverteilung der anwesenden Delegierten ablesen lässt. Demzufolge sollte das Römische Reich 12, Frankreich und Spanien je 10, Italien (ohne die Republik Venedig) 8, England 6, Schweden, Polen und die Generalstaaten je 4, Dänemark, Portugal und die Republik Venedig je 3 sowie die Schweizer Kantone, das Herzogtum Holstein und Kurland sowie kleinere Fürstentümer je 1 Stimme besitzen, so dass sich die Gesamtstimmen auf 70 belaufen würden. Für den (gerechten) Fall, dass die Türken und Russen ("Muscovites") ebenfalls als Mitglieder Aufnahme fänden, sollten sie jeweils über 10 Delegierte verfügen, was die Stimmenanzahl auf 90 erhöhen würde. Eine solche Zusammenkunft sollte nach seiner Ansicht "Europa" als den Teil der Welt hervorheben, der als "the Best and wealthyest part of the known World" bekannt wäre und wo "Religion and Learning, Civility and Arts have their Seat and Empire."
Für den Fall, dass veränderte Rechtstitel eine Überarbeitung der Zusammensetzung erforderlich machten, schlägt Penn eine genaue Prüfung aller vorgebrachten Ansprüche vor. Rechtstitel sollten vor der General- oder Staatenversammlung nur dann Bestand haben, wenn sie durch eine unzweifelhafte Erbfolge (England, Frankreich, Spanien), eine Wahl (Kaiserwahl im Reich, polnisches Wahlkönigtum), eine Heirat (Stewartdynastie in England, Erwerb des Herzogtums Kleve durch den brandenburgischen Kurfürsten) oder durch einen rechtmäßigen Erwerb (Beispiele aus dem Reich und Italien) legitimiert seien. Dahingegen solle die zu schaffende europäische Staatenversammlung solche Ansprüche und Titel zurückweisen, die durch Schwert und Blut (türkische Eroberungen christlicher Gebiete, Eroberung Flanderns durch Spanien, Eroberung Burgunds, der Normandie und Lothringens durch Frankreich) erreicht worden sind, da sie moralisch fragwürdig seien, wenn sie nicht nachträglich durch einen Vertrag eine Bestätigung gefunden haben. In diesem Punkt wird der Wunsch nach einer friedlichen bzw. an christlichen Maßstäben orientierten Rechts- und Wertegemeinschaft zwar besonders gut sichtbar, doch zieht er sich durch das ganze Essay. Die Staatengemeinschaft führe somit "to the benefits of an Universal Monarchy, without the Inconveniences that attend it".
Ideengeschichtlich markiert William Penns Essay einen Meilenstein in der Geschichte der sogenannten "Europapläne", der - nach eigenen Angaben - eine enge Verknüpfung zu den Plänen Heinrichs IV. und dessen Weggefährten Sully aufweist und erstaunlich detailliert zahlreiche Errungenschaften des Nachkriegseuropas des 20. Jahrhunderts vorwegnimmt.
(rf)

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