The True Interests Of The Princes of Europe In the Present State of Affairs:
Or Reflections Upon A Pamphlet written in French, Entituled,
A Letter from Monsieur, to Monsieur, concerning the Transactions of the Time.
Licens'd and Enter'd according to Order.
London: Printed for Richard Baldwin, near the Black Bull in the Old Baily, 1689.
Zitierweise: Rolf Felbinger: Quellenautopsie "Anonym (1689) Interests", in: Europabegriffe und Europavorstellungen im 17. Jahrhundert. Web-Projekt, Wolfgang Schmale (Dir.).
www.univie.ac.at/igl.geschichte/europaquellen/quellen17/anonym1689-interests.htm
Schlagworte: Frankreich; Kriegsaufruf; Opposition; Pamphlet; Sendschreiben; Universalmonarchie;
Fundort: BSB / Film R 361-853
A) Kurzbiographie | B) Beschreibung der Quelle | C) Europabegriff und -vorstellung des anonymen Verfassers |
[Anonymer Verfasser]
Die Quelle stellt ein Sendschreiben dar, das als Reaktion auf ein französisches Pamphlet im Jahr 1689 verfasst wurde. Parallel zu der vorliegenden englischen Ausgabe erscheint eine französische (La Haye: Chez Abraham Troyel) sowie eine deutsch-französische (Cölln, bey Peter Marteau) Übersetzung in einer nicht unerheblichen Auflage, was den Verdacht nahe legt, dass es sich bei der Drucklegung um eine organisierte Aktion des englischen Hofes handelt. Die Schrift enthält neben dem Titelblatt lediglich einen fortlaufenden Text sowie eine Werbeanzeige ("Advertisement") des Verlegers Richard Baldwin. Sie wurde 1976 von einer amerikanischen Reproduktionsfirma (UMI, Ann Arbor, Michigan) auf Mikrofilm kopiert, wobei eine gute Lesequalität aufgrund des schlechten Druckes nicht durchgehend gewährleistet ist.
Der Autor vermutet, dass das Pamphlet "A Letter from Monsieur, to Monsieur" einem Auftrag der französischen Regierung entsprungen ist und das Ziel verfolgt, die europäischen Fürsten von ihren "eigentlichen" Interessen abzulenken und so auf die Seite Frankreichs zu ziehen. Er bezieht sich in seiner Argumentation durchgehend auf den Text dieses Pamphlets, zitiert es in Auszügen und bedient sich dabei zumeist einer sachlichen Sprache. Außerdem scheint er außerordentlich gut informiert über die historische wie augenblickliche politische Situation zu sein, da seine Analysen oft erstaunliche Details aufweisen können. Ausgangspunkt des Schreibens ist die These, dass sich Frankreich zum jetzigen Zeitpunkt in der bedrohlichsten Lage der letzten einhundert Jahre befinde, da sich noch niemals zuvor so viele Potentaten zu einer antifranzösischen Koalition zusammen geschlossen hätten. Kein Nachbarstaat sei mehr mit Versailles alliiert oder bewahre noch Neutralität, weshalb der französische Hof alle Hebel in Bewegung zu setzen versucht, um den im Vorjahr ausgebrochenen Pfälzischen Erbfolgekrieg (1688-1697) wieder zu beenden.
Aus diesem Grund greife man auf erfundene Verschwörungstheorien und Lügen zurück, um die alliierten Kräfte zu verunsichern, aufzuhetzen und wieder auseinander zu treiben. Alle Ausführungen des französischen Pamphlets seien aber leicht zu durchschauen und als Augenwischerei auszumachen. So wird beispielsweise behauptet, dass Frankreich einen Krieg zwar nicht scheuen müsse, aber auch keinerlei Interesse an einem Krieg habe, da es bereits die erste Nation in Europa ("France does at this day stand in the first Rank among the States of Europe") sei und keine weiteren Ziele verfolgen würde. Dem hält der englische Autor entgegen, dass Frankreich nur deswegen auf einen Friedensschluss dränge, weil es innere Unruhen (durch die Entmachtung der Parlamente, die Entrechtung des Adels, die religiösen Verfolgungen und die Verarmung des Volkes) befürchtet, offenbar finanziell und wirtschaftlich angeschlagen ist, an militärischen Defiziten leidet und die vielgerühmte "Grandeur, Wisdom, Prudence, and Experience of the King and his Ministers" im Laufe der Zeit durch "his Success, ... his Flatterers [and] his Counsellors" ruiniert wurde: "For these reasons I conclude that the Author of the Letter has more reason than he thinks of owning that France hath all manner of Interest to make Peace."
Darüber hinaus gibt er zu bedenken, dass die bisherigen Erfolge unter Ludwig XIV. nicht so sehr ein Ergebnis der eigenen Stärke Frankreichs gewesen, sondern vielmehr der schwachen Position seiner Nachbarn anzulasten sind, da lange Zeit Kinderkönige (Spanien, Schweden) seine Gegenspieler ausmachten, der Kaiser von schlechten Ratgebern umgeben war, Holland unter seinen inneren Parteifehden litt und England von einem schwachen König geführt wurde. Sollte Frankreich also zum jetzigen Zeitpunkt den Frieden suchen, muss das zwangsläufig für alle seine Nachbarn den Krieg bedeuten, der leidenschaftlich (als Rache für die Verwüstung Flanderns, des Rheinlandes und Heidelbergs, für die Einnahme Straßburgs oder die Bombardierung Genuas), rücksichtslos und vereint (über konfessionelle Grenzen hinweg) geführt werden muss. Diesen eher generell dargelegten Forderungen schließen sich im Folgenden Überlegungen zu den einzelnen Feinden Frankreichs an, die klarstellen sollen, welche Vorteile bei der Fortsetzung des Krieges und einem Sieg gegen Ludwig XIV. zu erwarten seien.
Gegen Ende des Sendschreibens entwickelt der Verfasser das Bild des neuen englischen Königs und niederländischen Statthalters Wilhelm III. von Oranien zu einem positiven Gegenentwurf zur Person des Sonnenkönigs, der mit Begriffen wie "Universalmonarchie", "Universalherrschaft", "Knechtschaft", "Joch" oder "Verfolgung" gleichgesetzt wird. Die immer wieder auflebende Beteuerung des Bourbonen, dass er nur im Interesse der Katholischen Kirche und des wahren Glaubens agiere, soll durch die mehrfach gestellte Frage entkräftet werden, warum er sich dann wiederholt gegen den Papst (als Oberhaupt der katholischen Kirche), den Kaiser und König von Spanien (als katholische Monarchen) gewandt hat oder beispielsweise die lutherisch-reformierten Rebellen in Ungarn unterstütze. Die Religion spiele bei Ludwig XIV. nur die Rolle eines Deckmantels, der immer dann gebraucht würde, wenn er seine eigenen Interessen in Gefahr sieht. Wohl um die Konfessionsproblematik innerhalb der antifranzösischen Koalition zu relativieren und einem eventuellen Vorwurf entgegenzutreten, selbst Propaganda zu verbreiten, vermerkt der Verfasser schließlich noch: "Being of the Religion I am, it is not my bus'ness to undertake the Apology of the English, Hollanders, and Prince of Orange, that have deposed the King of England. They have their Writers and their Reasons; I leave to them to vindicate themselves. I shall only content my self with making some Animadversions, which seem to be within the general sphere of good sense."
C) Europabegriff und -vorstellung des anonymen Verfassers
Unter dem Begriff "Europe" fasst der anonym gebliebene Verfasser des Sendschreibens zunächst alle Monarchien, Fürstentümer und Republiken zusammen, die er durch ein gemeinsames Interesse, nämlich den Krieg gegen das nach Hegemonie strebende und augenblicklich isolierte Frankreich, verbunden sieht. Im engeren Sinne versteht er unter dem häufig als rhetorisches Stilmittel eingesetzten Terminus die Mitglieder der "Großen Allianz", die sich im Jahr der Publikation aus dem Heiligen Römischen Reich, Spanien, Schweden, England und den Vereinigten Niederlanden zusammensetzt, aber auch Dänemark und die italienischen Machthaber wie den Herzog von Savoyen, um die zu diesem Zeitpunkt noch diplomatisch geworben wird. Deren Interesse an einer Aufnahme bzw. Fortführung des Krieges, für den in der Schrift durchgehend geworben wird, kommt mehrfach explizit zur Sprache, während einige andere kontinentaleuropäische Länder (Portugal, Schweiz, Polen, Russland) überhaupt nicht thematisiert werden. In der Sendschrift definiert sich Europa also weder als geographische Einheit, noch als christliche Wertegemeinschaft, was auch an dem Umstand abzulesen ist, dass z. B. der Aspekt der Türkenkriege nur rudimentär Erwähnung findet.
Die Sicht des Autors auf "Europe" scheint vielmehr mit dem typisch englischen "balance of power"-Gedanken (siehe auch Anonym [1681] "Slave") verknüpft zu sein, der gegen Ende des 17. Jahrhunderts immer klarere Formen annimmt und schließlich die Außenpolitik Londons bis in das 20. Jahrhundert doktrinär begleitet. Demzufolge ist Europa bestimmt durch sein inneres Gleichgewicht, das immer dann gefährdet wird, wenn ein (kontinentaler) Faktor (insbesondere Paris und Wien) übermächtig zu werden droht. Alle anderen Teile (einschließlich der englischen Krone) müssen sich in dieser Situation zu einer Opposition zusammenschließen, um die drohende Hegemonie und die daraus entstehende Sogwirkung abzuwenden. Ein Ungleichgewicht der Mächte Europas brächte nach den Überzeugungen des Verfassers automatisch eine Universalherrschaft mit sich, deren Merkmale Unfreiheit, Unterdrückung und Willkür darstellen. In der vorliegenden Situation muss deshalb aus englischer Sicht das "wahre" Interesse aller Fürsten Europas sein, am Krieg gegen Frankreich teilzunehmen, ihn aufrechtzuerhalten und die Koalitionsdisziplin zu bewahren. Wie essentiell diese Forderungen sind, wird in dem abschließenden Satz der Schrift noch einmal mit Nachdruck bekräftigt: "All this makes me conclude, that if there be a necessity, that Europe should have but one Master, it ought to be given to the Turk; with him we should find more humanity and Good Faith."
(rf)