Jacob Nigrinus [1665]

Der Registrator von Europa.
Das ist: Richtige und glaubhaffte Erzehlung der Denckwuerdigsten Geschichten/ Handlungen/ Veraenderungen/ und allerhand beydes oeffentlichen und absonderlichen Zufaellen/ welche sich bey jedwedern Stat in Europa/ so zu Lande als Wasser/ durch den Fruehling und Sommer jetzlauffenden 1665. Jahrs/ von Monat zu Monat/ nemlich vom Martio an/ biß auf den September/ zugetragen. Dabey theils der Sachen/ so vor andern Andenckens wuerdig/ mit Kupffern gezieret. Unpartheylich verfasst und aufgesetzt Durch Jacobum Nigrinum, Mit Roem. Kaeyserl. Maj. Privilegio.
[Nürnberg 1665]

Zitierweise: Rolf Felbinger: Quellenautopsie "Jacob Nigrinus (1665)", in: Europabegriffe und Europavorstellungen im 17. Jahrhundert. Web-Projekt, Wolfgang Schmale (Dir.). https://europaquellen.univie.ac.at/einzelansicht/news/jacob-nigrinus-1665/

Schlagworte: Halbjahresbericht; Nachrichten; Oberhaupt; Registrator; Weltteil;

Fundort: ÖNB / 50.J.12

A) KurzbiographieB) Beschreibung der Quelle C) Europabegriff und -vorstellung bei Nigrinus

 

A) Kurzbiographie

[Trotz intensiver Recherche in diversen Nachschlagewerken konnten bisher keine biographischen Daten zur Person von Jacob(us) Nigrinus ermittelt werden. Der Name wird in keinem Pseudonymenlexikon geführt. Weitere Werke des Verfassers sind nicht bekannt.]

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B) Beschreibung der Quelle

Nigrinus' "Registrator von Europa" stellt einen nach chronologischen und thematischen Gesichtspunkten geordneten Halbjahresbericht dar, der verschiedene Ereignisse und Nachrichten des Jahres 1665 zusammenfasst. Die Quelle wurde im Herbst des gleichen Jahres beim Nürnberger Drucker Johann Hofmann in Auftrag gegeben und anschließend in den Handel gebracht. Sie umfasst etwa 120 Seiten und enthält neben dem Titelblatt lediglich eine kurze Vorrede ("Hoch und wohlgeneigter Leser") sowie den eigentlichen Nachrichtenteil, der sich in nicht nummerierte Abschnitte gliedert. Anders als im Titel angegeben erstreckt sich der Berichtszeitraum nicht von März bis September, sondern endet bereits mit einigen Artikeln, die den Monat August betreffen. Der zeitliche Schwerpunkt der Berichterstattung liegt dabei auf den Monaten März und April, die etwa zwei Drittel des Werkes ausmachen. Darüber hinaus erfolgt der Aufbau der Quelle in erster Linie nach chronologischen und erst in zweiter Linie nach thematischen Aspekten, doch wird im letzten Monat von diesem Standard abgewichen. Zur schnelleren Orientierung stehen dem Leser außerdem eine Stichwortleiste sowie ein Monatsindex zur Verfügung, die durchgängig auf jeder Seite zu finden sind.
Inhaltlich befasst sich der Autor mit Berichten vom kaiserlichen Hof in Wien, Nachrichten aus dem Reich und anderen europäischen Ländern, Naturkatastrophen, Unglücksfällen, allerlei Wundertaten und unerklärlichen Phänomenen sowie mit Verbrechen und Todesfällen. Der Berichtszeitraum "Martius - Aprilis 1665" führt zum Beispiel folgende, typische Überschriften auf: "Sachen/ so am Kaeiserlichen Hof passirt/ oder den Ungarischen und Tuerckischen Zustand betreffen", "Teutsche Geschichte", "Englische und Hollaendische Streit= und Kriegs=Haendel", "Frantzoesischer Verlauff", "Anmerckung Spanischer und Portugesischer Geschichte", "Italiaenische Sachen", "Polnische Verwirrungen", "Dennemaerckischer Zustand", "Schweden", "Meer=Raubereyen und See=Schaeden", "Schiffbrueche und See=Schaeden", "Erdbiedem/ Ungewitter/ Brand=Schaeden/ Feuers=bruenste/ und andere unglueckliche Zufälle", "Wunder=Zeichen am Himmel und in der Lufft", "Mord= und Gewalt=Thaten/ und derselben gerichtliche Bestraffungen" sowie "Natürliche Tods=Faelle hoher Personen." Der Umfang der Nachrichten, die gelegentlich anhand von (gefalteten) Kupferstichen illustriert werden, erweist sich dabei als recht unterschiedlich und es ist zu vermuten, dass die jeweilige andauernde Aktualität der Ereignisse (z. B. der Ausbruch und Verlauf des 2. englisch-holländischen Seekrieges) eine wesentliche Rolle in Bezug auf die Artikelgestaltung spielte.
Über Sinn und Zweck seines Buches gibt Nigrinus schließlich noch in seinem Vorwort eine kurze Stellungnahme ab: "Eines Registrators Verrichtung besteht hierin/ daß er entweder in Cantzeleyen die Gerichtliche Handlungen/ so man ins gemein Acten zu nenen pflegt/ registrire/ oder daß er den Inhalt und die fuernehmsten Sachen eines grossen und ansehnlichen Buchs kurtz zusammen fasse und in die Buchstaben deß Alphabets eintheile; damit der Lesende desto geschwinder finden moege/ was er suchet. Von dieser letzten Art und Bedeutung/ hat unser Europæischer Registrator seinen Namen entleihen wollen. Wo ist aber das grosse Buch moechte jemand gedencken und fragen. Ist denn nicht die Welt selbst das groesseste und ansehnlichste Buch/ so in der Welt zu finden? ... Weil aber diß gantze Welt=Buch und alle vier Haupt=Tomos desselben durchzugehen/ unseres Registratorn Wissenschafft und Gedaechtniß nicht zulaesst/ ... hat er ihm nur einen von gedachten vier Haupt=Tomis / nemlich Europam durchzugehen/ und was darinnen denckwuerdiges passirt/zu registriren/ erwaehlt: wiewol er dennoch nicht unterlassen wird eines und anders aus anderen Welt=Theilen/ davon Europa irgendeinen Schall bekommen/und ihr Interesse dabey haben moechte/ mit einzubringen."

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C) Europabegriff und -vorstellung bei Nigrinus

Parallel zu den vier Weltteilen bezeichnet Nigrinus "Europa" als eines der vier "Haupt=Tomis" der Weltgeschichte, die in einem großen Weltbuch zusammengefasst wird. Es ist dabei nicht zu erkennen, ob "Europa" in seinem Weltbild eine besondere Vorrangstellung gegenüber den anderen Kontinenten genießt, da er zur Begründung, warum er sich mit "Europa" beschäftigt, lediglich sein begrenztes Gedächtnis und Wissen anführt. In Bezug auf den standardisierten Aufbau seines "Registrators" und zur Begründung, warum er seine monatlichen Berichte stets mit Meldungen vom kaiserlichen Hof in Wien beginnt, schreibt er: "Ein Anfang dieser Europæischen Registratur macht man billich von dem geehrtesten Oberhaupt in Europa, und in der gantzen Christenheit/ nemlich von der Roemischen Kaeiserlichen Majestaet/ dero hohen Stats=Sachen/ und dieser zeit vorgeloffenen Begebnissen. Es ist nicht unbekannt/ mit was vaetterlicher Sorgfalt dieselbe so wol dem sehr geplagten Koenigreich Ungarn/ als dem gantzen Roemischen Reich/ die ueber dem Hals schwebende Gefahr abgewandt/ indem Sie/ ... endlich einen guetlichen Vergleich und Frieden mit diesem maechtigen Haupt=Feinde der Christenheit getroffen." Die Gleichsetzung Kaiser Leopolds I. mit dem Oberhaupt der Familie "Europa" und der Christenheit findet seinen Ausdruck dabei noch an einigen weiteren Stellen seines Berichts, doch werden beide Begriffe nicht kongruent benutzt.
Darüber hinaus findet sich "Europa" auch als geographisches Konglomerat wieder, das sich, entweder durch direkte oder indirekte Nennung, aus den Bestandteilen Römisches Reich Deutscher Nation, England (einschließlich Irlands), den Generalstaaten/Holland, Frankreich, Spanien, Portugal, Italien (nebst der Republik Venedig), Schweiz, Ungarn, Polen-Litauen, Dänemark-Norwegen, Schweden, "Moscau/Moscowitisches Reich" und dem Osmanischen Reich zusammensetzt. Dass die Osmanen dabei einen speziellen Status in "Europa" besitzen, lässt sich nur durch die Art der Berichterstattung konstatieren, in der sie überwiegend in Verbindung mit Kampf- und Kriegshandlungen (gegen Kaiser, Reich und die Dogenrepublik) oder Gerüchten (Gewalt- und Gräueltaten gegen Christen in ihren Herrschaftsgebieten) genannt werden. Trotzdem scheint Nigrinus ihren Status als - geographischen - Bestandteil "Europas" nicht in Frage zu stellen, selbst wenn er sie im religiös-gemeinschaftlichen Sinne als "maechtigsten Haupt=Feinde" der europäischen Christenheit anklagt.

(rf)

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