Der bißhero künstlich Bedeckte Aber anitzo Klärlich Entdeckte Und mit lebendiger Farbe vorgestelte Geist von Franckreich/ Nebenst denen Maximen und Grundregeln wodurch König Ludewig der XIV. die Monarchie und allgemeine Herrschafft über gantz Europam endlich zu Erlangen verhoffet. Dem fast angefesselten Europa zu guter Warnung ans Licht gestellet und zum Druck befordert Durch Johannem Liberium.
Gedruckt zu Freystadt/ Im Jahr 1689.
Zitierweise: Josef Köstlbauer: Quellenautopsie "Johannes Liberius (1689)", in: Europabegriffe und Europavorstellungen im 17. Jahrhundert. Web-Projekt, Wolfgang Schmale (Dir.).
https://europaquellen.univie.ac.at/einzelansicht/news/johannes-liberius-1689/
Schlagworte: Frankreich; Katholizismus; Ludwig XIV.; Mächtesystem; Potentaten; Staatsraison; Streitschrift; Universalmonarchie;
Fundort: ÖNB / 20.Cc.14
A) Kurzbiographie | B) Beschreibung der Quelle | C) Europabegriff und -vorstellung bei Liberius |
[Das Pseudonym "Johannes Liberius", welches in verschiedenen Pseudonymenlexika aufgeführt wird, konnte in der Forschung bisher nicht zugeordnet werden. Es liegen darüber hinaus keine weiteren Schriften vor, die unter dem genannten Pseudonym publiziert wurden.]
Die vorliegende Quelle ist eine deutsche Streitschrift wider den französischen König Ludwig XIV. und dessen hegemoniale Bestrebungen. Der schmale Band wurde 1689 anscheinend vom Autor selbst herausgegeben. Der Druckort Freystadt wird im deutschen Gemeinsamen Bibliotheksverbund als fingiert bezeichnet. Die 120 nicht nummerierten Seiten enthalten eine kurze Vorrede und sieben fortlaufende Kapitel, die jeweils einen thematischen Schwerpunkt behandeln. Ein Inhaltsverzeichnis ist nicht vorhanden.
Der historische Hintergrund dieses Werkes ist der kürzlich ausgebrochene Pfälzische Erbfolgekrieg (1688-97), Johannes Liberius berührt aber aktuelle Ereignisse nur am Rande, wohl weil er sie als seinen Lesern bekannt voraussetzt. Vielmehr bemüht er sich, die Absichten und die verborgenen Ränke der französischen Politik aufzudecken. Zwei thematische Schwerpunkte treten dabei hervor: Das sind einerseits die moralischen Defizite und charakterlichen Fehler Ludwigs XIV. und andererseits das französische Streben nach der Errichtung einer Universalmonarchie.
Bereits in der Vorrede wird die das ganze Werk charakterisierende polemische Energie des Autors deutlich. König Ludwig wird als ehrgeiziger und bedenkenloser Herrscher präsentiert, der damit die wahre Pflicht eines Herrschers, nämlich seinem Volk Frieden und Glück zu bringen, verrät: "Es ist nicht die Gebuhrt/ so die Fürsten von andern Menschen unterscheidet/ sondern ihr Verstand und Geist. Von wie vielen unter denselben/ die nur mittelmäßigen Erkäntniß gewesen/ finden wir fast nichts oder wenig in den Geschicht=Büchern auffgezeichnet? Die meiste Ort/ den sie darinnen einnehmen/ ist die Geschlecht=Register eigendlich vorzustellen und den Tag ihrer Gebuhrt/ und ihres Todes. Sind zwey fürnehmsten Stück/ die von ihnen in der Welt einige Meldung thun. [...] Es ist die Beschaffenheit dieses Geistes/ und die Weise welcherley er in einem Souverain gefunden wird/ daran das wol oder übel fahren seiner Unterthanen anhanget."
Liberius zeigt eine gewisse Neigung historische Gesetzmäßigkeiten zu konstruieren, so versucht er zum Beispiel ausführlich zu belegen, dass im Laufe der Geschichte friedliebenden Herrschern in der Regel aggressive und zerstörerische Naturen auf den Thron nachfolgten: "Philippus der II. ward von einem weisen Vater/ der zu jedermanns Vergnügen regierete/ gezeuget/ aber er war dermassen blutdurstig/ dasz er auch seines eigenen Bluts nicht schonete/ und verlohr alles/ was Carolus der V. mit so vieler Fürsichtigkeit und Ruhm bewahret hatte. [...] Franz I. [...] bekahm den Beinamen des Gütigen in Friede/ eines siegreichen im Kriege/ des Vaters und Wiederbringers der Künste und Wissenschafften/ aber Carolus IX. eines Todschlägers."
Diese Gesetzmäßigkeit sieht der Autor auch im Falle Ludwigs des XIV. wirken. Er folgte einem schwachen König nach ("Es war mehr der Geist des Richlieu als seiner/ der zu seiner Zeit herschete") und solange er unter der Vormundschaft seiner Mutter Anna von Österreich und des Kardinals Mazarin stand, verbarg er seine Ambitionen. Sobald er aber selbst die Herrschaft antrat, nahm er den Beinamen der "Große" an, ("den er gleichwol noch nicht verdienet hatte"), und der Autor höhnt, "daß er groß ist an Regiersucht/ ein grosser Oberherrscher über das was seinen Nachbahren zugehöret/ ein grosser Feind des H. Stuhls des Pabstes/ und ein grosser Verfolger der Protestanten." Die kriegerische Natur Ludwigs zeigte sich schon bei seiner Geburt ("Er wird gewaffnet gebohren und seine erste Nahrung war seiner Amme Blut/ daß er ihr selber absaugete") und sie verbindet sich mit einem rücksichtslosen Ehrgeiz ("Der Regiersüchtige Geist/ der ihn besitzet würde gerne einen Theil von seinen Unterthanen auffopfern/ seiner Neigung ein genüge zu thun/ und die Grösse/ die er wünschet/ zu erreichen.").
In den folgenden sieben Kapiteln widmet sich Liberius den allgemeinen politischen Absichten Ludwigs und dann der Politik gegenüber den Vereinigten Niederlanden, dem Papst, den deutschen Fürsten, England, Spanien und schließlich der Frage, ob sich Ludwig katholisch nennen dürfe. Beherrschendes Motiv ist immer die französische Tücke und "Regiersucht". Dort wo Ludwig mit militärischer Gewalt nichts ausrichten kann, setzt er Geheimdiplomatie, List und Bestechung ein, um zwischen seinen Feinden Zwietracht zu säen ("seine güldenen Louysen sind die Passetouts, welche die Pforten seiner conquesten öffnen"). Ausführlich wird der sinistre Charakter des französischen diplomatischen Korps beschrieben: "Er [Ludwig] hat sein ratio Status/ der ihm sonderlich wol glücket. Das ist/ daß er an alle Höffe in Europa keine Leute sendet als solche/ die über alle massen durchtrieben und lose sind/ die er sonder Unterscheid auß Burgerlichen/ Militarischen/ und Geistlichen/ als von nöthen ist/ auszulesen weiß. Aber vor allen/ müssen sie durchtrieben unverschämt/ verwegen und fertig seyn in vielen Versprechen/ [...] mit einem Wort deutlicher zu reden/ sie müssen betrieglich und listige Schälcke seyn."
Ausschlaggebend für die Erfolge der französischen Politik ist nach Ansicht des Autors die Uneinigkeit und der Egoismus der deutschen Fürsten ("Nach dem gegenwertige Begierde nach Franckreich übergangen ist/ haben etliche Fürsten in Europa eine zeitlang her/ gantz anders als ihre Vorfahren zur Zeit Carl V. und Philippi II. thaten/ gethan/ und an stat sich darwieder zusetzen/ haben sie ihm und thun es noch täglich/ der eine auß Zagheit/ der ander auß Furcht zu seinen Fürnehmen geholffen."). Einigkeit, so Liberius, ist die einzige Voraussetzung um die französischen Pläne zum Scheitern zu bringen: "Wiederstehet den Teuffel/ so fliehet er von euch."
C) Europabegriff und -vorstellung bei Liberius
Der sich in dieser Quelle manifestierende Europabegriff ist politischer und religiöser Natur. Europa ist das System der christlichen Mächte, dessen Gleichgewicht der Autor durch die auf die Errichtung einer europäischen Monarchie abzielende Politik Ludwigs des XIV. gefährdet wähnt. Liberius sieht im Streben nach der Universalmonarchie ein immer wieder kehrendes historisches Phänomen, das im Ehrgeiz und der Vanitas allzu mächtiger Fürsten wurzelt. Interessant ist die Differenzierung, die er dabei vornimmt: Während Spanien unter Philipp II. nach einer echt universalen, die ganze Welt umfassenden Monarchie strebte, ist Frankreich klüger und will lediglich eine europäische Monarchie errichten ("Die Plage/ so in Spanien auffgehöret/ ist nach Franckreich gezogen/ weil sie aber weiter ist/ greifft sie so sehr nicht umb sich/ und die Regiersucht ihres König erstreckt sich im Bezirck nicht weiter als in Europa, ein würdiger Wunsch für einen so grossen Fürsten/ und der/ wenn man die Sache wol besiehet/ nicht wol weniger begehren kann.").
Das Konzept der Universalmonarchie widerspricht der von Liberius vertretenen Vorstellung von der Souveränität und territorialen Unversehrtheit der europäischen Mächte, die im Wesentlichen auf den Bestimmungen des Westfälischen Friedens beruht. Dem entspricht auch die mehrmalige Anprangerung des französischen ratio status - der Staatsraison. Im zeitgenössischen Schrifttum hat dieser Begriff eine überwiegend negative Konnotation, er bezeichnet eine an kaltem Eigennutz orientierte Politik, die im Gegensatz zum Bild des christlichen Herrschers steht, der dem Wohlergehen seines Volkes verpflichtet ist ("Das eigene interesse ist der böse Engel/ der schon von langer zeit her in Franckreich geherschet hat." [...] "Der Herr von Rohan sagte wol ehemahls/ daß die Fürsten über die Menschen herrscheten/ aber das interesse solches über die Fürsten thäte; und er würde sonder bedencken wann er zu dieser Zeit gelebet/ darbey angefüget haben/ daß solches vor allen andern bey Ludewig den XIV. stat fünde."). Als besonders krasse Verfehlung erscheint in diesem Zusammenhang die Bereitschaft Ludwigs des XIV. aus Gründen der Staatsraison mit den Osmanen gegen die eigenen Glaubensgenossen zu paktieren.
So entsteht aus den antifranzösischen Polemiken des Johannes Liberius das Bild eines idealen Europas der christlichen Potentaten, deren Aufgabe im Wesentlichen in der Erhaltung des als segensreich empfundenen Status Quo liegt.
(jk)